Digitalisierung der Verwaltung: Eigene Fachkräfte unerlässlich

„Der digitale Staat kann nur gelingen, wenn die Verwaltungen mehr eigene IT- und Digitalkompetenzen aufbauen. Dafür brauchen wir mehr Ausbildungskapazitäten und duale Studiengänge für die Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen. Der Aufbau einer eigenen IT-Fachkräftebasis in der Verwaltung ist auch unerlässlich, um die Abhängigkeit von externer Beratung zu reduzieren“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 3. Mai 2023 anlässlich des dbb dialogs digital zum Thema „Dauerbaustelle Digitalisierung der Verwaltung: Wie geht es jetzt nach der ernüchternden OZG-Bilanz weiter?“.

Es müssten aber nicht nur mehr Nachwuchskräfte selbst ausgebildet werden. Silberbach: „Weiterhin brauchen wir massive Investitionen in die Fort- und Weiterbildung der vorhandenen Beschäftigten. Bereits heute investiert die Privatwirtschaft mehr als doppelt so viel wie der öffentliche Dienst in die Weiterbildung seiner Beschäftigten.“ Auch die Arbeitsbedingungen müssten verbessert werden. „Das bedeutet ganz konkret: Flexible Arbeitszeiten, eine attraktive Bezahlung, eine moderne technische Arbeitsausstattung und eine innovative Verwaltungskultur. Denn zahlreiche Stellen sind zu lange unbesetzt und das vorhandene Personal ist trotz zuletzt erfolgter Aufstockung komplett ausgelastet. Der Normenkontrollrat hat bereits 2021 kritisiert, dass für eine erfolgreiche Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) insbesondere in den Ländern und Kommunen schlicht und einfach nicht genug Leute zur Verfügung stehen.“

Die enttäuschende Bilanz des OZG sei aber nicht von den Beschäftigten zu verantworten, stellte der dbb Chef klar: „Die Kolleginnen und Kollegen sind vielmehr die Leitragenden einer verfehlten Politik und schlechter Rahmenbedingungen. Ohne ihren täglichen und hochmotivierten Einsatz würden wir noch viel schlechter dastehen. Neben dem Personalmangel ist ein wesentliches Problem, dass die interne Verwaltungsdigitalisierung komplett vernachlässigt wurde. Man hat sich ausschließlich darauf konzentriert, dass etwa Anträge digital eingereicht werden können. In ganz vielen Fällen mussten die Beschäftigten diese dann ausdrucken und abtippen, weil sie diese eben nicht digital weiterverarbeiten konnten. So funktioniert es einfach nicht, das ist fatal.“

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtete Bund und Länder, bis zum 31. Dezember 2022 sämtliche Leistungen der Verwaltung auch digital anzubieten. Dieses Ziel wurde deutlich verfehlt. Was waren die zentralen Gründe für die mangelhafte OZG-Umsetzung? Wurde die Perspektive der Beschäftigten ausreichend berücksichtigt? Kommt jetzt mit dem OZG 2.0 die erhoffte Wende? Was muss sich wirklich ändern, damit die Digitalisierung der Verwaltung noch erfolgreich umgesetzt werden kann? Diese Fragen diskutierte dbb Chef Ulrich Silberbach beim dbb dialog digital am 3. Mai 2023 mit  Thomas Bönig, Amtsleiter DO.IT – Amt für Digitalisierung, Organisation und IT und CIO/CDO der Landeshauptstadt Stuttgart, Patrick Burghardt, Digitalstaatssekretär, CIO des Landes Hessen und Vorsitzender des IT-Planungsrats, Dunja Kreiser, Mitglied des Deutschen Bundestages in der SPD-Fraktion, und Malte Spitz, Mitglied des Nationalen Normenkontrollrates.

„In der Sackgasse nicht noch Gas geben“

Als CIO der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart unterliegt Thomas Bönig die Gesamtverantwortung für die Digitalisierung der Kommune – von der Verwaltung bis hin zu Smart City. Für ihn ist die bisherige Umsetzung des OZG „zunächst einmal gescheitert“, zumal die Kommunen in der Umsetzung des Gesetzes bislang nicht vernünftig beteiligt gewesen seien. „Der Föderalismus ist nicht das Grundproblem bei der Verwaltungsdigitalisierung, sondern der Umgang damit“, ist Bönig überzeugt. Darüber hinaus stellten Online-Zugänge allein noch keine Digitalisierung dar. Die Kommunen könnten zwar in einigen Bereichen gut mit Online-Formularen arbeiten, die von Bürgerinnen und Bürgern online ausgefüllt werden. „Aufgrund der aktuellen Gegebenheiten führen diese aber in der Verwaltung zu Mehrarbeit, weil sie eben nicht automatisiert weiterverarbeitet werden, sondern von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oftmals nachbearbeitet werden müssen.“ Die Eingaben aus Formularen seien zudem oft noch nicht mit den Systemen dahinter kompatibel.

Den Blick auf die Zukunft gerichtet, plädierte Bönig dafür, statt nicht erreichbarer Ziele besser eine Basis von 20 oder 30 wichtigen digitalen Bürgerservices auf einer Plattform anzubieten, die dann für Bürgerinnen, Bürger und Verwaltung bruchlos nutzbar sind. „Menschen, die digitalaffin sind und sehen, was wir da machen, halten uns schlicht nicht mehr für kompetent. Wenn wir Ämter digitalisieren wollen, brauchen wir von der Planung bis zur Implementierung der Systeme digitale Kompetenz vor Ort.“ Die dazu notwendige Anwerbung von Fachkräften werde jedoch durch die besseren Einkommensstrukturen in der Wirtschaft für den öffentlichen Dienst erschwert. Die Kommunen müssten sich außerdem um zu viele Aspekte der Digitalisierung selbst kümmern. „Dafür fehlen uns schlicht die Ressourcen“, kritisiert Bönig. Als Grundproblem des OZG definierte Böning: „Das Gesetz digitalisiert das Papier, nicht den Prozess.“ Aus seiner Sicht eine Sackgasse, „und es macht keinen Sinn, in einer Sackgasse auch noch Gas zu geben.“ Die Leidtragenden seien Bürger und Beschäftigte gleichermaßen. „Am Ende muss eine Verwaltungsleistung stehen, die den Ansprüchen einer modernen Gesellschaft gerecht wird, aber davon sind wir bisher noch sehr weit entfernt. Es müssen mehr zentrale Lösungen umgesetzt werden.“ Daher wünscht sich der CIO eine progressive, bundesweite Digitalstrategie, um schneller zu Ergebnissen zu kommen.

Digitalisierungsdruck macht Rechtsanspruch überflüssig

Patrick Burghardt, Digitalstaatssekretär, CIO des Landes Hessen und Vorsitzender des IT-Planungsrats, kündigte an, nach dem aus seiner Sicht nicht vollkommen erfolglosen ersten Aufschlag des Onlinezugangsgesetzes beim „OZG 2.0“ mit „großen Schritt weiter vorangehen, etwas wagen“ zu wollen. Nachdem der Zugang zu digitalen Bürgerdiensten mittlerweile gut geregelt sei, gehe es jetzt um die Umsetzung der Anwendungen in den Verwaltungen. Mit den EfA-Leistungen („Einer-für-alle“-Lösungen), die die jeweils federführenden Bundesländer aufgesetzt haben und derzeit unter Hochdruck weiterentwickeln, werde man die Verwaltungsdigitalisierung jetzt schnell nach vorne bringen, zeigte sich Burghardt überzeugt. „Ich würde das OZG nicht als gescheitert bezeichnen. Die geschaffenen Strukturen werden die Digitalisierung jetzt weiter in die Fläche bringen.“ Burghardt warnte davor, sich in der pauschalen Digitalisierung aller Verwaltungsprozesse und individuellen Konfigurationsanforderungen zu verlieren. „Wir müssen jetzt schnell das zur Verfügung stellen, was der Markt auch abnimmt“, also insbesondere sämtliche gängigen und von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen häufig abgefragten Dienstleistungen. Angesichts der Zahl von 11.000 Kommunen werde der Staat nicht alle individuellen Digitalisierungsanforderungen abdecken können, „da brauchen wir schlicht auch die Zusammenarbeit mit der freien IT-Wirtschaft“, so Hessens CIO.

Den Vorwurf, dass Bürgerinnen und Bürger im Zuge der Entwicklung digitaler Verwaltungsdienstleistungen nicht ausreichend einbezogen worden seien, wies Burghardt entschieden zurück. In den eigens für die Userbeteiligung eingerichteten Werkstätten bei der Entwicklung der digitalen Fachverfahren seien regelmäßig alle Beteiligten intensiv einbezogen worden, „das war schon gelebte Bürgerbeteiligung mit sehr gutem Input der User, die uns auch weitergeholfen haben“. Einen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen hält Burghardt für überflüssig, ebenso jede weitere zeitliche Fristsetzung. Der hohe Digitalisierungsdruck sowohl auf landes- als auch auf kommunalpolitischer Ebene werde automatisch dafür sorgen, dass Digitalisierung und Registermodernisierung nun zügig umgesetzt würden. Bei der Umsetzung des OZG arbeitet Hessen mittlerweile im Rahmen einer länderübergreifenden Kooperation mit dem Saarland und Rheinland-Pfalz zusammen und tauscht Online-Prozesse aus, die auf einer gemeinsamen technischen Plattform entwickelt werden. Die im Verbund entwickelten Lösungen können in den jeweiligen Landes- und Kommunalverwaltungen der Kooperationspartner eingesetzt werden. In einer gemeinsamen Prozessbibliothek sind die verfügbaren Online-Prozesse recherchierbar, um diese anschließend in die eigenen IT-Systeme zu integrieren. Auch Thüringen ist Teilnehmer an dieser „Mitte-Kooperation“ für digitale Verwaltungsdienstleistungen.

Bessere Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen

Dunja Kreiser, Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für die Digitalisierung der Verwaltung und das Onlinezugangsgesetz im Innenausschuss, zeigte sich realistisch: Die staatlichen Strukturen „sind, wie sie sind“, Föderalismus und Vielgliedrigkeit der deutschen Verwaltung seien schlicht Realität. Die Bundestagsabgeordnete glaubt nicht an die große Staatsreform, wohl aber an bessere Abstimmung: „Der IT-Planungsrat und die Föderale IT-Kooperation, kurz  FITKO, müssen deshalb zukünftig bei Koordinierung und Impulsgebung für die Daueraufgabe Digitalisierung der Verwaltung eine noch stärkere Rolle spielen. Hierfür müssen sie sicherlich auch strukturell und finanziell gestärkt werden.“ Gleichzeitig müssten aber auch die Länder ihren Part übernehmen. „Viele der Zuständigkeiten für digitale Dienstleistungen liegen eben nicht beim Bund, sondern bei den Ländern.“ Was auf jeden Fall fehle, seien verbindliche finanzielle Zusagen von Bund und Ländern. „Die erste Verantwortung für die Kommunen liegt aber eindeutig bei den Ländern. Eins ist klar: Die Kommunen können die notwendigen Investitionsprogramme auf keinen Fall alleine stemmen“, mahnte Kreiser.

Digitalcheck für Gesetze als Gamechanger?

Malte Spitz, Mitglied des Nationalen Normenkontrollrats (NKR), plädierte für eine stärkere Ende-zu-Ende-Digitalisierung. Den bisherigen föderalen Ansatz „Einer-für-Alle“ (EfA), also die Entwicklung von digitalen Lösungen durch ein Bundesland stellvertretend für alle anderen, hält er dabei allerdings für nicht zukunftsfähig: „Das hat nicht funktioniert.“ Es brauche eine stärkere Standardisierung bei der Lösungsentwicklung. Als möglichen „Gamechanger““ sieht Spitz den sogenannten Digitalcheck für Gesetze, den der NKR nun entwickeln werde. Wenn die digitale Umsetzung bereits im Gesetzgebungsprozess berücksichtigt werde, könnte dies zu qualitativ hochwertigen Lösungen in der Praxis beitragen. Spitz: „Die Mitglieder des Bundestages müssen das einfach von Anfang an mitdenken.“ Bei seiner Kritik am bisherigen Fortschritt bei der Verwaltungsdigitalisierung wollte sich Spitz nicht auf Bundesinnenministerin Nancy Faeser konzentrieren. „Das ist ein Problem der gesamten politischen Spitze des Landes. Mein Eindruck ist, dass es vielfach nicht als Gewinnerthema gesehen wird und es eher Angst vor schlechter Presse gibt.“ In der Diskussion um die Sinnhaftigkeit eines Rechtsanspruchs auf digitalen Zugang sagte der Mitgründer und Generalsekretär der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), dieser sei erforderlich, um den Grundsatz auf gleichwertige Lebensverhältnisse umzusetzen. Es brauche auch ein Druckmittel im Verfahren, wie es zuvor das verbindliche Zieldatum gewesen sei.

Hier widersprach dbb Chef Ulrich Silberbach, der die Forderung nach einem Rechtsanspruch, wie ihn etwa die FDP erhebt, für populistisch hält: „Wer soll da wen mit welchen Sanktionen belegen können?“ Gleiches gelte für die vereinzelt geforderten Strafen für Behörden, die bei der Digitalisierung zurückblieben. Der dbb Bundesvorsitzende betonte, dass die Digitalisierung der Verwaltung einer nachhaltigen Finanzierung bedürfe. „Wenn der Bund hier zu viele Bedingungen stellt, haben wir ein Problem. Wir haben es beim ‚DigitalPakt Schule‘ gesehen, dass etwa eine Ko-Finanzierung viele Kommunen überfordert und die Mittel deshalb nicht abfließen“, hielt Silberbach fest.

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