Null Toleranz bei sexueller Belästigung

„Etwa jede fünfte Frau hat bereits sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Solche Übergriffe sind nicht nur schädlich für die psychische Gesundheit der Betroffenen, sondern wirken sich auch extrem negativ auf die gesamte Arbeitsumgebung aus, machte Milanie Kreutz, Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung, in ihrer Auftaktrede zur Frauenpolitischen Fachtagung „Hinsehen, Einschreiten, Vorbeugen – Null Toleranz bei sexueller Belästigung, Gewalt und Mobbing“ am 14. Juni 2023 in Berlin deutlich. Arbeitgebende müssen sich endlich dem Problem stellen. Die in vielen Behörden und Dienststellen gelebte Kultur des Kleinredens muss ein Ding der Vergangenheit werden. Gleichzeitig beobachten wir, dass die Bedrohungen von außen, nämlich verbale und physische Attacken auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst, zunehmen. Als Gesellschaft sind wir nur so stark wie unsere Entschlossenheit, Unrecht zu bekämpfen und die Betroffenen zu unterstützen“.

Kreutz: Kampf gegen Übergriffe ist ein Marathon, kein Sprint

„Wir müssen Fehlverhalten von Vorgesetzten und Tätern erkennen. Wir müssen den Betroffenen zur Seite zu stehen und ihnen zeigen, dass sie auf unsere Unterstützung zählen können. Wir brauchen Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen, um das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen und die Schaffung einer sicheren Arbeitsumgebung für alle zu fördern. Aber uns muss klar sein: Die Bekämpfung von sexueller Belästigung, Gewalt und Mobbing wird kein kurzer Sprint, sondern ein Marathon sein. Es ist eine kontinuierliche Aufgabe, die Ausdauer, Engagement und die Bereitschaft, Veränderungen voranzutreiben, erfordert. Aber es ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen, um eine gerechte und respektvolle Gesellschaft zu schaffen und den öffentlichen Dienst weiterhin für Nachwuchs- und Bestandskräfte attraktiv zu machen“, stellte Kreutz klar.

Silberbach: Alle Beschäftigten sollen sich am Arbeitsplatz sicher fühlen

„Bei sexualisierter Gewalt und Belästigung sowie Mobbing darf es keine Toleranz geben – auch und gerade im öffentlichen Dienst. Hier steht der Staat als Arbeitgeber besonders in der Pflicht und sollte für andere gesellschaftliche Bereiche und die Privatwirtschaft ein Vorbild sein“, erklärte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach.

„Das bedeutet: mehr Prävention, mehr Aufklärungsarbeit. Und es darf bei konkreten Fällen keine Willkür im Umgang damit geben. Deshalb brauchen wir standardisierte Verfahren, sowohl bei der Unterstützung von Betroffenen, als auch bei der Ermittlung der Vorgänge und der Ahndung von Täterinnen und Tätern. Alle Beschäftigten sollen sich am Arbeitsplatz sicher fühlen können!“

Paus: Werden wir nicht hinnehmen

Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: “Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Form von Gewalt, die sich vor allem gegen Frauen richtet und bei der es in erster Linie um die Demonstration von Macht geht. Wir dürfen und wir werden sie nicht hinnehmen! Schutz und Unterstützung sowie das Recht auf einen Arbeitsplatz ohne sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Gewalt – das gilt für alle. Und klar ist zugleich: Der öffentliche Dienst muss Vorbild im Kampf gegen sexuelle Belästigung sein.”

Walter: An gesellschaftlichen Rollenbildern arbeiten

Katrin Walter, zuständige Abteilungsleiterin für den öffentlichen Dienst im Bundesinnenministerium (BMI) betont: „Wir müssen alle an unseren gesellschaftlichen Rollenbildern arbeiten“. Dazu könnten alle durch ihr persönliches Verhalten beitragen. Entscheidend seien aber auch gesetzliche Maßnahmen, die sämtliche Lebensbereiche betreffen – einen Rahmen bilde die Istanbuler Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die seit Februar 2023 uneingeschränkt in Deutschland gilt. „Die Bundesregierung hat damit ein klares Zeichen gesetzt.“

Zu konkreten Maßnahmen, die das BMI umsetzen möchte, gehört unter anderem die Schaffung spezieller Ansprechstellen bei der Polizei, wo betroffene Frauen Hilfe bekommen, berichtete Walter. Auch intern will das BMI klare Zeichen gegen Gewalt, Mobbing und Schikane setzen. Deshalb hat die Behörde einen Änderungsentwurf für das Bundesdisziplinargesetz vorgelegt, um Disziplinarverfahren zu beschleunigen. „Wer so etwas tut, verletzt seine arbeitsrechtlichen und dienstrechtlichen Pflichten. Im Einzelfall kann und muss das strafrechtlich, zivilrechtlich oder beamtenrechtlich geahndet werden“ – gerade in Hinblick auf sexualisierte Gewalt müssten Führungskräfte sofort einschreiten, unterstrich Walter. „Jeder Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung ist sexualisierte Gewalt. In diesem Punkt kann es keine Grauzonen mehr geben! Lassen Sie uns gemeinsam eine Nulltoleranzpolitik vertreten und im Alltag leben!“

Jenner: Betroffene definieren Verletzung der Würde, nicht Verursachende

Dr. Sabine Jenner, dezentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an der Charité Berlin und Co-Autorin der Studie „Prävention sexueller Belästigung“ hob hervor, dass für Grenzverletzungen die Perspektive der Betroffenen der entscheidende Maßstab ist: „Die Verletzung der Würde wird durch die Betroffenen definiert, nicht durch die Verursachenden.“ Grenzverletzungen seien zudem auch immer Machtdemonstrationen zwischen zwei Personen – ein Grund, warum unter anderem etwa junge Menschen besonders gefährdet seien.

Insgesamt gehe es in Fällen von Mobbing oder Belästigung auch heute noch immer zu oft um die Perspektive von Verursachenden. Betroffene bräuchten mehr Unterstützung im Umgang mit solchen Situationen, weil etwa Vermeidungsstrategien oft zu einer Verschärfung der Situation führten. „Das seelische Leid von ihnen ist enorm und kann sogar zu Dauererkrankungen führen. Wir können es uns in der Charité schon mit Blick auf den Fachkräftemangel nicht mehr leisten, Leute auf diese Art zu verlieren.“

Maurer: Psychische und gesundheitliche Schäden durch Mobbing

Sandra Maurer, Rechtsanwältin und Co-Autorin des Buchs „Mobbing und sexuelle Belästigung im öffentlichen Dienst“ konzentrierte sich in ihrem Impulsvortrag vor allem auf die gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen von Langzeitmobbing: „Die Betroffenen werden immer misstrauischer. Glauben, ständig auf der Hut und in Verteidigungshaltung sein zu müssen. Der daraus resultierende Stress wird Auswirkungen auf die Arbeit haben, auf ihre Leitungsfähigkeit, das Miteinander im Job und auf die psychische Gesundheit.“ In der Konsequenz verursache Mobbing damit nicht nur psychische und gesundheitliche Schäden, sondern – durch Leistungsabfall, Erkrankung und Fehlzeiten – auch immense volkswirtschaftliche Schäden.

Die Prävention gegen Mobbing am Arbeitsplatz müsse dabei bereits in Kita und Schule beginnen: „Die Kinder und Jugendlichen von heute sind die Arbeitnehmer von morgen. Wertschätzung und Respekt – oder eben das Gegenteil – lernt man zuerst und am nachhaltigsten in Kita und Schule.“ Studien belegten, dass statistisch in jeder Klasse ein bis zwei Kinder selbst Mobbingopfer werden. Maurer: „Also herrsche schon in unseren Schulen nicht das sichere Umfeld, das wir aber als Gesellschaft für die Schaffung eines angstfreien Arbeits- und Lebensumfelds unbedingt brauchen.“

Ataman: Betroffene wissen oft nicht, an wen sie sich wenden sollen

Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung berichtet über interne Anlaufstellen bei Mobbing und sexueller Belästigung: „Ein Problem ist: Beschäftigte wissen oft nicht, dass es in ihrer Arbeitsstelle eine Anlaufstelle gibt, weil oft gar nicht darüber informiert wird. Und selbst wenn es eine gibt, trauen sich Betroffene häufig nicht, auf diese zuzugehen, aus Angst vor negativen Konsequenzen für sie selbst.” Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass sich ihre Beschäftigte am Arbeitsplatz wohlfühlt. Wenn der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nachkommt, hat er versagt.

Ataman schlägt fünf Maßnahmen vor, wie Arbeitsstellen Übergriffe vorbeugen und nachverfolgen können: Klare Prozesse bei Belästigungsfällen schaffen, auf diese Prozesse und die Anlaufstelle aufmerksam machen, verpflichtende Fortbildungen zur Sensibilisierung und Aufklärung abhalten, regelmäßige anonyme Befragungen bei den Beschäftigten durchführen und Verhaltensgrundsätze festlegen. „Wir plädieren zudem dafür, die Anzeigefrist von zwei auf zwölf Monate zu erhöhen. In unserer Erfahrung sind zwei Monate zu wenig für die Betroffenen, um sich dafür zu entscheiden, juristische Schritte einzuleiten und diese auch vorzubereiten. Darüber hinaus brauchen wir eine Beweislasterleichterung, da es oft erschwert ist, eine Belästigung vor Gericht nachzuweisen”, fordert Ataman.

Fishbowl-Debatte: Mehr auf Mobbing und Anlaufstellen aufmerksam machen

„Sexuelle Belästigung, Gewalt und Mobbing – Konzepte und Maßnahmen für Schutz am Arbeitsplatz“ lautete der Titel der Fish-Bowl-Debatte am Nachmittag. Neben dbb frauen Chefin Milanie Kreutz und Sandra Maurer diskutierten Kathrin Böhler, juristische Referentin im Beratungsreferat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und Dr. Nina Guérin, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Landes Baden-Württemberg, mit dem Publikum.

Milanie Kreutz stellt klar, dass von Gewalt, Mobbing oder sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffene Frauen Freiraum brauchen, der es ihnen überhaupt erlaubt, sich zur Gegenwehr zu trauen. Die erste Voraussetzung dafür sei es, überhaupt zu wissen, an wen sie sich wenden können. Um das zu gewährleisten, müssten die Antidiskriminierungs- und Beschwerdestellen zudem möglichst unabhängig sein. Überwänden sich Betroffene dann aber, aktiv zu werden und sich zu wehren, müssten sie auch auf die Konsequenzen vorbereitet werden, denn ein entsprechendes Verfahren bringe immer auch emotionale Belastungen mit sich. In diesem Zusammenhang betonte Kreutz, dass auch die Beratenden selbst den Rückhalt ihrer Dienststelle oder Institution benötigten, um ihren Job überhaupt machen zu können. Für den Bereich Schule und Berufsschule plädierte Kreutz für mehr Sozialarbeitende und entsprechende Förderprogramme, die nicht gekürzt werden dürften: „Lehrkräfte müssen sich wieder auf das Lehren konzentrieren können. Wir dürfen nicht alle wichtigen Aufgaben auf sie übertragen. Dafür braucht es aber multiprofessionelle Teams in den Schulen.“ Kreutz rief die Teilnehmenden der Fachtagung dazu auf, „die heutigen Impulse und Erkenntnisse in ihren Dienststellen zu thematisieren, um das Problembewusstsein vor Ort zu schärfen.“

Sandra Maurer forderte mehr Empathie: „Mit einem ‚Weiter so‘ fahren wir unsere Gesellschaft an die Wand.“ Mehr Sensibilität sei zum Beispiel durch Leitlinien in Behörden, die klarstellten, welche Bedingungen am Arbeitsplatz herrschen müssten, damit alle sich wohlfühlen, zu erzielen. In einer Institution, in der man gleich zum Justiziar müsste oder zur Personalabteilung, bekämen Betroffene schlicht Angst, sich vor dem gesamten Haus zu offenbaren. Auf der anderen Seite schilderte sie ihrer Erfahrungen mit Betroffenen, die sie vertreten habe, wo es nie offizielle Statements als Rückmeldung zu Vorwürfen gegeben habe: „Meist bewegt sich hinter den verschlossenen Türen dann doch etwas. Das wollen wir aber nicht. Wir wollen die offene öffentliche Debatte.“

Kathrin Böhler betonte, wie wichtig es sei, dass ein klares Signal von der Ministerin oder den Staatssekretären käme, dass sexuelle Belästigung, Gewalt und Mobbing innerhalb der Organisation nicht toleriert würden. Dazu seien systematische Schulungen der Führungskräfte nötig. Ziel sei es, innerhalb der Organisation eine Kultur zu etablieren, in der sich Betroffene trauen, Fehlverhalten zu benennen. Den Hinweis auf fehlende finanzielle Ressourcen wollte Böhler so nicht gelten lassen und sagte: „Wenn es einen Willen gibt, dann gibt es auch die Mittel.“ Einen Grund für den ausweichenden Umgang mit dem Thema sieht sie in der Tabuisierung des Themas. Die Frage einer Diskussionsteilnehmerin, ob es bundesweit Zahlen zur Wirksamkeit der Beschwerdestellen gebe, versprach Böhler in die eigene Behörde, die Antidiskriminierungsstelle mitzunehmen: „Je mehr Beschwerden es gibt, desto besser. Das zeigt ja auch, dass in der Organisation eine offene, vertrauensvolle Kultur herrsche.“

Dr. Nina Guérin machte Information und Sensibilisierung als Grundvoraussetzungen für den Kampf gegen Mobbing, Belästigung und Diskriminierung fest. Diese dürften im Arbeitsalltag nicht als „lästige Nebensache“ betrachtet werden dürften. Allerdings seien die Beschwerdestellen keine Beratungsstellen, weshalb sich Guérin eine dreigliedrige Struktur aus Beratungsstellen, Beschwerdestellen und unabhängigen zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen wünscht. „Darüber hinaus können wir nicht warten, bis sich die bereits gewonnenen Erkenntnisse überall von selbst durchsetzen. Eine weitergehende gesetzliche Verankerung von Antidiskriminierung kann Fakten schaffen, denn dann müssen regelmäßige Schulungen durchgeführt und entsprechende Stellen geschaffen werden.“ Grundsätzlich seien Frauen überproportional stark von Belästigung und Übergriffen betroffen, „und jeder Fall muss ernst genommen werden.“

Ein freier Stuhl in der Expertenrunde galt als Einladung zum Mitdiskutieren, die rege von den rund 200 Teilnehmenden angenommen wurde. Eingebracht wurden viele persönliche Erfahrungen zum Umgang mit Mobbing und sexueller Belästigung. Die Zuhörerinnen und Zuhörer diskutierten mit den Expertinnen über Herausforderungen aber auch Erfolgen bei der Prävention, Aufklärung und Bekämpfung von Übergriffen. Moderatorin Boussa Thiam führte beherzt durch die Fishbowl-Debatte.

Hintergrund

Unter dem Motto „Hinsehen, Einschreiten, Vorbeugen – Null Toleranz bei sexueller Belästigung, Gewalt und Mobbing“ beschäftigten sich die dbb frauen auf der 17. Frauenpolitischen Fachtagung am 14. Juni 2023 mit den Formen von Übergriffen und Lösungsansätzen. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten, Meinungsführenden sowie Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aus Politik, Verwaltung und den dbb Gewerkschaften gingen sie den Fragen nach, wie man Übergriffe erkennt, wie man einschreiten soll und wie man sie verhindern kann. Die Veranstaltung fand im dbb Forum in Berlin statt.

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