Berufliche Bildung im Fokus?

„Berufsbildungsbericht 2024“ und „Bildung in Deutschland 2024“ veröffentlicht

Wenige Wochen vor Beginn der diesjährigen Sommerferien sind mit dem „Berufsbildungsbericht 2024“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und dem von BMBF und KMK geförderten Bericht „Bildung in Deutschland 2024“, es ist der zehnte nationale Bildungsbericht, zwei wichtige Berichte zur Lage des deutschen (Berufs-)Bildungssystems erschienen.

Den Berufsbildungsbericht 2024 und die dort dargestellte Situation kommentiert der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), das sog. Parlament der beruflichen Bildung, in seiner Stellungnahme wie folgt: „Das System der beruflichen Bildung in Deutschland sorgt für viele junge Menschen nach dem Schulabschluss für einen Einstieg in das Erwerbsleben und sichert den Betrieben qualifizierte Fachkräfte. Dafür müssen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt wirkungsvoll zusammengebracht werden. Dabei sind drei Aspekte von besonderer Bedeutung: Zunächst kommt es darauf an, möglichst viele junge Menschen in eine Berufsausbildung zu bringen und die angebotenen Ausbildungsstellen zu besetzen. Darüber hinaus sind die Auszubildenden zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Schließlich sollen möglichst viele Absolventinnen und Absolventen der dualen Ausbildung in Arbeit einmünden.

Legt man diese Punkte zugrunde, so können die jüngsten Trends in einigen Bereichen grundsätzlich positiv bewertet werden. Gleichwohl bestehen an der einen oder anderen Stelle Verbesserungspotenziale.“

Diese Bewertung lässt sich anhand folgender Feststellungen des Berufsbildungsberichts zur Situation der beruflichen Ausbildung konkretisieren:

• Im Sektor der dualen Berufsausbildung stiegen die Anfängerzahlen um 1,7 Prozent, in den schulischen Ausbildungen des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens (Sektor Schulberufssystem) um 2,0 Prozent. Im Sektor „Übergangsbereich“ nahm die Zahl der Anfängerinnen und Anfänger um 4,3 Prozent zu, wozu vermutlich die verstärkte Einmündung von zugewanderten ukrainischen Jugendlichen beigetragen hat.

• Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist im Jahr 2023 um 3 Prozent auf 489.200 gestiegen. Allerdings blieb in 2023 die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge noch immer deutlich unterhalb des Vor-Corona-Niveaus (-6,8 Prozent zu 2019).

• Das Ausbildungsangebot ist im Vorjahresvergleich um 3,4 Prozent auf 562.600 gestiegen. Für die Ausbildungsnachfrage nach traditioneller Definition ergab sich ein Zuwachs um 3,6 Prozent auf 515.600. Auch die erweiterte Nachfrage, die Bewerberinnen und Bewerber mit (Ausbildungs- bzw. Beschäftigungs-)Alternative miteinbezieht, ist um 3,2 Prozent auf 552.900 gestiegen. Die erweiterte Angebots-Nachfrage-Relation lag zum zweiten Mal über 100. Sowohl beim Angebot (-2,7 Prozent zu 2019) als auch bei der Nachfrage bestand 2023 noch ein deutlicher Abstand zum Niveau von vor der Pandemie (traditionell -6,2 Prozent; erweitert -7,7 Prozent).

• In 2023 ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen weiter auf 73.400 (+6,6 Prozent zu 2022) gestiegen. 26.400 Bewerberinnen und Bewerber blieben unversorgt (+16,3 Prozent zu 2022). 37.300 Bewerberinnen und Bewerber befanden sich in einer Alternative (-1,1 Prozent zu 2022). Damit bestehen weiter Passungs- und Versorgungsprobleme.

• Diese Passungs- und Versorgungsprobleme spiegeln sich in einer überaus hohen Vertragslösungsquote von 29.5 Prozent wider (26,7 Prozent in 2021).

• Die Übernahmequote lag 2022 bei 77 Prozent. Dies ist die höchste Übernahmequote seit dem Jahr 2000.

• Die Zahl der ausbildenden Betriebe ist weiter gesunken und beträgt nur noch 18,9 Prozent.

Diese exemplarischen Ergebnisse aus dem Berufsbildungsberichts 2024 machen unmittelbar deutlich, dass am Ausbildungsmarkt durchaus noch viele Verbesserungspotenziale erkennbar sind.

Nationaler Bildungsbericht
Als nächstes soll knapp auf den nationalen Bildungsbericht 2024, der im 2-Jahresrhythmus von der Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung vorgelegt wird, eingegangen werden. Dieser liefert auf rund 400 Seiten eine empirische Bestandsaufnahme des deutschen Bildungssystems in seiner gesamten Breite. Bereits durch einen Blick auf die Themen der einzelnen Kapitel wird dies deutlich:

• Bildung im Spannungsfeld veränderter Rah-
menbedingungen
• Grundinformationen zu Bildung in Deutsch-
land
• Frühe Bildung, Betreuung und Erziehung
• Allgemeinbildende Schule und non-formale
Lernwelten
• Berufliche Ausbildung
• Hochschule,
• Weiterbildung und Lernen im Erwachsenen-
alter
• Berufliche Bildung (als Schwerpunktthema)
• Bildungsverläufe

Aufgrund ihrer Bestandsaufnahme kommen die Autorinnen und Autoren des Bildungsberichts vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen, wie Migration und Integration, Digitalisierung und dem damit verbundenen Kulturwandel sowie des Personalmangels in allen gesellschaftlichen Bereichen, zu den folgenden übergreifenden Trends, Problemlagen und Herausforderungen:

• nur geringfügig steigende Ausgaben für Bildung, die die Bedarfe keineswegs decken
• wachsende Heterogenität, die individualisierte und zielorientierte Förderung zur Sicherung des Bildungsstands der Bevölkerung erfordert
• fortbestehende soziale Disparitäten, die eine wirksame Gegensteuerung im Bildungssystem verlangen
• fortbestehende regionale Disparitäten in Bildungsangeboten und -teilnahme
• anhaltende Personalengpässe in allen Bildungsbereichen
• berufliche Bildung als lebenslanger Prozess, der nicht hinreichend gerahmt und gesteuert wird;
• anhaltender Um- und Ausbau des Bildungssystems erfolgt eher reaktiv als proaktiv

Dazu erklärt die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger:
„Der Bildungsbericht zeigt, dass unser Bildungssystem vor großen Herausforderungen steht. Wir brauchen dringend eine bildungspolitische Trendwende. … Wir setzen uns mit aller Kraft für mehr Chancengerechtigkeit ein. Mit dem Startchancen-Programm wird zum kommenden Schuljahr das größte und langfristigste Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Wirklichkeit. Ebenso zeigt der neue Bildungsbericht, dass wir ein starkes Berufsbildungssystem brauchen, das junge Menschen konsequent fördert und an die speziellen Bedarfe der modernen Arbeitswelt angepasst ist. Deshalb geben wir mit der Exzellenzinitiative Berufliche Bildung mit gezielten Maßnahmen dem gesamten System der beruflichen Bildung einen neuen Schub.“

Christine Streichert-Clivot, Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes kommentiert den Bildungsbericht 2024 wie folgt:
„Wir müssen noch ehrgeiziger sein, um das Versprechen des sozialen Aufstiegs für Jugendliche zu erneuern. Immer noch hängen die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen stark vom sozialen Hintergrund ab. Die kommende Generation erwartet zurecht, dass wir diese Ungerechtigkeit angehen. Und das machen Bund und Länder. Zum Beispiel mit dem Startchancen-Programm, das Schulen bei der Gestaltung einer modernen, attraktiven Lernumgebung, passgenauen pädagogischen Angeboten und dem Ausbau multiprofessioneller Unterstützung unterstützt. Im aktuellen Bundesbildungsbericht zeichnet sich zudem eine wachsende Zahl junger Erwachsene ab, die keine formale Qualifikation haben. Mit dem Pakt für Berufliche Schulen wollen wir, gemeinsam mit dem BMBF Lösungen erarbeiten, ihnen den Einstieg in die Berufswelt zu erleichtern und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.“

Mit den beiden Berichten, dem „Berufsbildungsbericht 2024“ und dem nationalen Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2024“ liegt eine umfassende Darstellung und Analyse zur aktuellen Situation insbesondere des deutschen Berufsbildungssystems sowie zu seinen Problemlagen und Herausforderungen vor.

Aus Sicht des VLWN sind jetzt Bildungspolitik und Bildungsadministration gefordert, endlich Ideen und zielführende Konzepte zu entwickeln, damit die berufliche Bildung in Deutschland mit den drei Bildungsbereichen (vgl. Bildung in Deutschland 2024, S. 263)
• Berufsausbildung (duales System, Schulbe-
rufssystem und Übergangssektor)
• (berufsbezogene) Weiterbildung
• hochschulische Bildung
sich so entwickeln kann, dass sie nicht nur den Wünschen und Vorstellungen der jungen Menschen an eine zukunftsfähige (berufliche) Bildung, sondern auch den Erwartungen von Wirtschaft und Gesellschaft entsprechen kann. Es ist viel zu tun! Der VLWN ist bereit, seine Expertise in die notwendige Entwicklungsarbeit einzubringen.
Ernst G. John

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