Bildungspolitik in der Krise – ein Resümee zur andauernden Coronakrise:

Verbesserungsfähiges Corona-Management, mangelnde Unterrichtsversorgung, Investitionsstau bei der Digitalisierung, Lehrkräftemangel, überbordende Bürokratie und Schulen am Limit: Das Resümee der Bildungsverbände im Niedersächsische Beamtenbund nach zwei Jahren Corona-Politik der Landesregierung fällt ernüchternd aus. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz kritisierten die Landesvorsitzenden von phvn, VNL, VBE, BLVN und VLWN die Krisenpolitik von Kultusminister Tonne. „Wir müssen jetzt Schule endlich auf allen Feldern neu denken und mutig loslaufen, um das Bildungssystem zukunftssicher aufzustellen. Dafür gibt es keine Blaupause als Handlungsempfehlung. Der Prozess, der beschritten werden muss, gleicht eher dem Bau eines Flugzeugs im Flug“, sagte Joachim Maiß, VLWN-Vorsitzender, im Verbandskanon.
Corona ist noch längst nicht überwunden, der Virus verschnauft gerade, schon sehen sich die Lehrkräfte in Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine mit der nächsten Herausforderung konfrontiert. Eine Herkulesaufgabe, die auf ein Schulsystem trifft, das am Limit ist. Die Lehrkräfte sind lange überlastet, der Krankenstand an den Schulen liegt teils bei 50 Prozent. „In der Corona-Krise wurden die eklatanten Missstände wie unter einem Brennglas noch einmal deutlich sichtbar. Doch Lehrkräftemangel, eine Unterrichtsversorgung von teils nur 92 Prozent und mangelnde Digitalisierung waren schon lange vor der Pandemie benannte und drängende Probleme“, sagte Maiß.

Die Liste der offensichtlichen Baustellen der Politik ist lang. „Immer wieder haben Kultusministerkonferenz und das niedersächsische Kultusministerium in der Anfangsphase zu Lasten des Gesundheitsschutzes auf Präsenzunterricht beharrt, digitalen Distanzunterricht gar untersagt. Bei der Frage nach der Maskenpflicht beharrte die Politik lange Zeit darauf, dass diese nicht nötig sei. Und die Sommermonate nach dem ersten wie nach dem zweiten Lockdown wurden nicht genutzt, um Schulen zu sicheren Orten zu machen – wider den Erkenntnissen der Wissenschaft, dass der nächste Coronaherbst bevorstehen wird und Schulen sehr wohl Infektionsherde sind“, sagte Franz-Josef Meyer, des Landesvorsitzender des VBE.

Ralph Böse, Landesvorsitzender des BLVN ergänzte: „Es ist doch Irrsinn, bei einer aktuellen Inzidenz von 1600 –unter Jugendlichen gar bis zu 4000 – so zu tun, als ob Corona nicht mehr unter uns weilt. Auch hier kommt der nächste Herbst und es gibt ernstzunehmende Befürchtungen, dass eine neue, gefährlichere Virusvariante uns den nächsten Lockdown beschert und den Bildungsnotstand verlängert. Denn der Gesundheitsschutz in den Schulen fehlt ebenso wie eine funktionierende digitale Ausstattung.“

Dr. Christian Rabbow, neuer Landesvorsitzender des Philologenverbandes, fokussierte den eklatanten Lehrkräftemangel. „Schon jetzt ist das System auf Kante genäht. Bis 2030 fehlen bundesweit weitere 81 000 Lehrkräfte, während sich der Zuwachs der Schülerinnen und Schüler in der gleichen Zeit auf eine Million beläuft. Das heißt, die Probleme verschärfen sich sehenden Auges, ohne dass gegengesteuert wird. Ganz im Gegenteil. Der Beruf der Lehrkräfte scheint angesichts der Rahmenbedingungen durch die Politik mittlerweile so unattraktiv zu sein, dass sich immer wenigen Menschen für dieses Studium entscheiden. Mit unmittelbaren Folgen für die Bildungsqualität. Deutschland hat nur seine Köpfe als Kapital und versäumt es sträflich, hier so zu investieren, dass der Wirtschaftsstandort zukunftsfähig bleibt.“

Die politisch gewollte Inklusion führt seit 2013 zu immer größeren Problemen in den Klassen – „nicht nur, weil das schwächste Glied in der Kette das Lerntempo bestimmt, sondern ebenso die notwendigen Förderpädagoginnen und -pädagogen nicht vorhanden sind. Kinder und Jugendliche mit besonderen Förderbedarfen, kommen aus Klassenverbünden mit gerade mal 16 Kindern in den allgemeinen Unterricht, wo bis zu 36 Schülerinnen und Schüler pro Klasse unterrichtet werden. Anstatt hier gegenzusteuern, wird in Niedersachsen jetzt die Förderschule Lernen komplett abgeschafft, was die Belastungen in den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen weiter erhöht “, sagte Torsten Neumann, Landesvorsitzender des VNL.

Mit Blick auf die digitale Transformation und die gesellschaftliche Disruption „muss Schule auf allen Ebenen neu gedacht werden und müssen intelligente Konzepte entwickelt werden. Daneben braucht es multiprofessionelle Teams, die diesen Begriff auch verdienen und Entlastung in die Schulen bringen. Das fängt bei zusätzlichen Verwaltungskräften an, die den Lehrkräften Dokumentationspflichten abnehmen können, setzt sich über Systemadministratoren fort, die die Technik pflegen, und erschöpft sich noch längst nicht bei Sozialarbeitern und Schulpsychologen, sondern umfassen auch Medienpädagogen und Mediengestalter für digitale Lernmedien. Denn die Herausforderungen der absehbaren Zukunft und die damit verknüpften Anforderungen wachsen. Die weitere Digitalisierung und die daran gekoppelten Notwendigkeiten, e-didaktische Inhalte in die Lehrkräftebildung zu implementieren, sowie Learnlabs aufzubauen, in denen in Echtbetrieb neueste Technologien und Softwarelösungen auf ihren Unterrichtseinsatz hin erprobt werden können und das so gewonnene Wissen schnell ausgerollt und adaptiert werden kann, helfen dabei. Allen voran AR/VR-Inhalte“, sagte Maiß.

Moderator und Gastgeber Alexander Zimbehl, 1. Vorsitzender des Niedersächsischen Beamtenbundes und Tarifunion, brachte es zum Abschluss des Pressegesprächs noch einmal auf den Punkt: „Die Bildungsverbände im NBB sind zu Recht enttäuscht, dass die Landesregierung und hier vor allem Kultusminister Tonne die Warnungen der Wissenschaft verhallen lassen und Hinweise aus dem Kreis der gewerkschaftlichen Praktiker in den Wind schlagen und bei schon wieder steigenden Infektionszahlen nicht handeln, und die Gesundheit der Lehrkräfte, der Eltern sowie der Schülerinnen und Schüler aufs Spiel setzen. Das verantwortungslos und grob fahrlässig.

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