„Cool flex“ ist cool

Bildung durch Innovation: Die BBS Rinteln setzen im Beruflichen Gymnasium auf
kooperatives und offenes Lernen und sind damit auf Zukunfts- wie Erfolgskurs

 

Die Beruflichen Gymnasien (BG) in Niedersachsen haben vielerorts im Wettbewerb der Schulformen einen schweren Stand. Sie buhlen um Schülerinnen und Schüler und werden dennoch häufig bei der Schulwahl nicht berücksichtigt. Ganz anders sieht der Alltag am BG an der BBS Rinteln durch die Rintelner Oberstufen Kooperation (ROK) zwischen IGS, Ernestinum und BBS aus. Der Zustrom von Schülerinnen und Schülern ist geprägt durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Jährlich kommen zwischen 120 und 150 Schülerinnen und Schüler aus vielen unterschiedlichen Schulformen ganz bewusst an das BG. Das hat einen guten Grund, der sich zunehmend im ganzen Landkreis Schaumburg herumspricht: „Cool flex“. Der Grundstein für das innovative und umfassende Lernkonzept, das auf kooperatives und offenes Lernen setzt und auf der Dalton-Pädagogik fußt, wurde 2017 gelegt. Mittlerweile genießen über 300 Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe das individuelle Lernen und finden „Cool flex“ cool.

Die drei bis fünf Cool-flex-Stunden pro Woche sind fest in den Lernplan integriert und werden flankiert von Impulsphasen in den Klassenverbänden. Die Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs nutzen diese Flexistunden, um eigenverantwortlich, selbstorganisiert und frei in unterschiedlichen Fächern zu lernen, Gelerntes zu vertiefen, Schularbeiten zu machen, sich mit Lern-Paten aus den oberen Stufen auszutauschen, Probleme zu wälzen oder auch mal über das Erlebte am Wochenende zu reden. In der Zeit sind die Lehrkräfte Lernbegleiter, die bedarfsgerecht und individuell hinzugezogen werden können oder aber auch für vertrauliche Gespräche in entspannter Atmosphäre zur Verfügung stehen – statt in den Pausen vor dem Lehrerzimmer zwischen Tür und Angel Rückfragen beantworten zu müssen, wie es ja andernorts gängige Praxis an Schulen ist.

Lehrkräfte sind Lernbegleiter

Ist der Lernbegleiter nicht gefordert, kann die Lehrkraft in der Zeit administrative Aufgaben erledigen, Klassenarbeiten korrigieren und so Entlastungspotentiale für sich schöpfen. Was zu einer gewissen Entschleunigung im Arbeitsalltag führt und für ein entspannteres Miteinander sorgt. Die Selbstlernphasen wiederum genießen die Schülerinnen und Schüler, weil sie für sich das Lerntempo selbst festlegen, selbstbestimmt entscheiden, mit wem sie was und wo sie lernen – und damit räumlich ungebunden sind. Wobei die Lernziele klar definiert sind. Eine Win-win-Situation, von der Lehrkräfte wie Schülerinnen und Schüler profitieren. Denn lustvoll lernen, wozu auch essen und trinken im „Cool flex“-Raum oder Musik hören über Kopfhörer zwecks besserer Konzentration gehören, steigert die Schulqualität.

Schulleiter Thomas Piepho hat das damalige „Cool“-Konzept 2017 angedacht und hat es mit einem Club der Willigen 2018 in den Schulalltag integriert. Gut ein Drittel des Kollegiums zählte zu den „Early birds“, die voller Enthusiasmus und ansteckender Begeisterung die „Berufsschule der Zukunft“ zumindest im Kleinen aus der Taufe hoben und bis heute leidenschaftlich vorantreiben. Elementarer Bestandteil seinerzeit waren iPads für alle Schülerinnen und Schüler, um losgelöst vom angestammten Sitzplatz im Klassenraum überall in der Schule oder auch im Schulgarten über WLAN digital und kollaborativ arbeiten zu können.

Die Paten sind das Herzstück

Laut Abteilungsleiter Eike Blohm, der das Konzept mit seinem Team intensiv weiterentwickelt, ist das Patenkonzept ein weiteres Herzstück des Konzepts und ein Novum an einer BBS. Patenwillige Zwölftklässler treffen zum Schuljahresstart mit den Neuankömmlingen aufeinander. „Das Matching erfolgt über Sympathiewerte. Ein Pate ist Ansprechpartner und Ratgeber weit über Fächerthemen hinaus“, berichtet Fachlehrerin Bettina Kallmeyer. Dieses gelebte Vertrauensverhältnis hat spürbar die Beratungszeiten der Lehrkräfte reduziert. Ein weiteres entlastendes Moment.

Das „Cool flex“-Konzept ist von unten nach oben gedacht und wird auch so gelebt. Das Motivationsmotto dahinter heißt nicht oktroyieren, sondern Annäherung durch Ausprobieren. Es ist ein atmendes System, das sich über die Jahre immer weiter und breiter aufgespannt hat. Mittlerweile sind laut Eike Blohm alle 50 Lehrkräfte am BG der BBS Rinteln an Bord. Gleichzeitig ist das Konzept noch ausbaufähig. Eine Verzahnung mit dem digitalen Klassenbuch gibt es beispielsweise noch nicht. Die Anwesenheit wird nach der Stunde händisch durch den Lernbegleiter mit einem Stempel auf einem persönlich zugeordneten Blatt Papier dokumentiert. Das tragen die Schülerinnen und Schüler in einer Mappe bei sich. Die Mappe enthält auch den Lernvertrag „Freiheit durch Gebundenheit“ – eine Art Kommittent, in beide Richtungen. Den unterschreiben alle zum Schulstart der 11. Klasse und übernehmen damit Verantwortung für das eigene Lernen.

Anders als im herkömmlichen Unterricht kann nur anwesend sein, wer pünktlich zur Flexistunde erscheint. Kommt jemand zu spät in die Schule, geht er erst gar nicht in „Cool-flex“-Raum, sondern vielleicht gleich in die Cafeteria – und übernimmt damit Verantwortung für sein eigenes Handeln samt den daraus erwachsenden Konsequenzen, weil daraus Minusstunden erwachsen.

Neu angedockt an das Konzept ist gerade eine Supervision. Denn durch das gewachsene Vertrauensverhältnis zwischen Lehrkräften und Schülern, das jenseits der „Cool Flex“-Stunden auch auf die übrigen Unterrichtszeiten abstrahlt und ein starkes Wir-Gefühl initiiert, werden zunehmend auch nichtschulische Themen an die Lehrkräfte herangetragen – bis hin zu der Unterstützerfrage beim Auszug aus dem elterlichen Zuhause.

Konzept an KI andocken

„Wir wollen das Konzept zukünftig weiter aufbohren, an KI andocken, um Abläufe zu automatisieren und Lernfortschritte und mögliche Lernlücken frühzeitig zu erkennen, um dann zielführend unterstützen zu können. Daneben wollen wir das Konzept bzw. abgewandelte Formen auch auf unsere anderen Standorte ausrollen und in die schulische Breite der BBS tragen. Da die Cool flex-Stunden jahrgangsübergreifend und losgelöst von Klassenverbänden stattfinden, schöpfen wir daraus Synergien für den Lernalltag“, sagt Schulleiter Thomas Piepho, der sich zum Ziel gesetzt hat, aus dem System heraus Schule im Positiven zu verändern und die BBS zukunftsfähig aufzustellen.

Die BBS Rinteln hat vier Standorte, zwei davon in Rinteln und zwei im benachbarten Bückeburg. Sie zählt niedersachsenweit zu den dienstältesten Oberstufen an Berufsbildenden Schulen. Seit über 70 Jahren kann man an der einstigen Kreishandelslehranstalt seine Hochschulreife erlangen.

Stefan Schlutter

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