Ist ein Lohnplus von 10,5 Prozent vertretbar und maßvoll: NBB-Landesvorsitzender Alexander Zimbehl im Gespräch
Ob Grundnahrungsmittel, Energie oder Dinge des täglichen Lebens – alles wird nur teurer. Die Inflation befeuert die Preistreiberei. Und den Menschen geht langsam das Geld aus. Kaum verwunderlich, dass die Gewerkschaften dbb und verdi bei den aktuellen Tarifverhandlungen für die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen zumindest einmal den Inflationsausgleich und ein Lohnplus von 10,5 Prozent oder mindestens 500 Euro mehr Gehalt bei einer Laufzeit von einem Jahr fordern. Die erste Tarifrunde in Potsdam Ende Januar blieb ergebnislos. Was erste Proteste nach sich zog. Mit Spannung schaut auch Alexander Zimbehl vom NBB auf das Ergebnis der Tarifverhandlungen. Denn der Abschluss diente bisher als Blaupause für die Verhandlungen auf Landesebene, die im Herbst anstehen – und einen „heißen Herbst“ versprechen. Genau darüber hat Stefan Schlutter mit dem NBB-Landesvorsitzenden gesprochen.
Stefan Schlutter: „Hallo Herr Zimbehl, ist ein Lohnplus von 10,5 Prozent angesichts der katastrophalen Kassenlage von Bund. Ländern und Kommunen und der rückläufigen Inflation nicht ein zu großer Schluck aus der Flasche, den man da haben will?“
Alexander Zimbehl: „Das sehe ich überhaupt nicht so, ganz im Gegenteil. Zum einen müssen wir uns klar machen, dass wir es nach wie zuvor mit einer Teuerungsrate von deutlich über 8 Prozent zu tun haben und sich diese Teuerungsrate insbesondere auf die allgemeinen Lebensbereiche, also vorrangig Energiekosten, aber auch allgemeine Verbrauchskosten, massiv ausgewirkt hat.
Auch wenn die Inflation in den letzten Wochen ein wenig zurückgegangen ist, so dürfte ein Ende dieser Spirale nicht absehbar sein und unsere Kolleginnen und Kollegen, vollkommen unabhängig von den jeweiligen Besoldungs- und Entgeltstufen, spüren das tagtäglich im eigenen Geldbeutel.
Darüber hinaus müssen wir auch ganz deutlich darauf hinweisen, wie sich im Vergleich zu anderen vergleichbaren Berufsgruppen die Einkommenssituation im öffentlichen Dienst in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Dieses trifft sowohl zu auf die aktuellen Verhandlungen für Bund und Kommune, gleichzeitig aber auch auf die im Herbst bevorstehende Einkommensrunde für den Tarifvertrag der Länder zu. Der öffentliche Dienst hat in den vergangenen Jahren auf der einen Seite deutlich gezeigt, wozu er leistungsfähig in der Lage ist, auf der anderen Seite war die finanzielle Anerkennung der Leistung unserer Kolleginnen und Kollegen in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes sehr überschaubar.
Wir haben einfach einen großen Nachholbedarf und den möchten wir jetzt auch gerne widergespiegelt sehen. Und dieser Nachholbedarf muss tabellenwirksam – also auf die Zukunft ausgerichtet sein. Punktuelle Verbesserungen, beispielsweise durch Einmalzahlungen, helfen da wenig.“
Schlutter: „Die Arbeitgeber haben die Forderungen der Gewerkschaften als maßlos und inakzeptabel zurückgewiesen. Was wäre aus Ihrer Sicht ein maßvolles und akzeptables Lohnplus für die Beschäftigen im öffentlichen Dienst?“
Zimbehl: „Ich bin überzeugt davon, dass diese Lohnforderung tatsächlich maßvoll und nicht überzogen ist. Der Verweis auf die leeren Kassen kann da wenig überzeugen, denn tatsächlich: Dieses Standardargument kennen wir seit mehreren Jahrzehnten.
Man muss es auch mal andersrum aufziehen: wir hören tagtäglich wie wichtig der öffentliche Dienst, wie wichtig beispielsweise unsere Lehrkräfte für ein modernes und zukunftsorientiertes Bildungssystem sind. Aber immer dann, wenn es darum geht, diese Wichtigkeit und Bedeutung auch mit Einkommensverbesserungen zu hinterlegen, fordert man von unseren Menschen Zurückhaltung und Solidarität. Ich wäre dankbar dafür, wenn diese Solidarität, die insbesondere in Wahlkampfreden immer betont wird, auch seitens der Arbeitgeber endlich mal entsprechend widergespiegelt würde.
Vor diesem Hintergrund auch noch einmal unterstrichen: Diese Einkommensforderung ist keinesfalls überzogen, sondern spiegelt die Realitäten wider und was am Ende am Verhandlungstisch dabei herauskommt, werden wir alle sehen.“
Schlutter: „Niemand ist in der Lage, vorauszuschauen, wie die gesamtgesellschaftliche Situation im Herbst sein wird. Doch die Gewerkschaften auf Landesebene müssen sich ja schon frühzeitig positionieren, um für Ihre Mitglieder das Bestmögliche bei den Verhandlungen herauszuholen. Das heißt, Sie laufen sich schon mal warm – für welche Forderungen?“
Zimbehl: „Es ist noch viel zu früh, eine konkrete Forderung für die bevorstehenden Tarifverhandlungen im Herbst zu formulieren. Aber eines steht jetzt schon fest: Wir werden die Entwicklungen der Tarifrunde für Bund und Kommunen nicht nur beobachten, sondern insbesondere die jeweiligen Argumente sehr wahrscheinlich auch im Herbst wieder austauschen. Damit wird eines klar: die Tarifverhandlungen jetzt im Frühjahr werden einen maßgeblichen Fingerzeig darauf geben, was wir im Herbst zu erwarten haben.
Und auch dort ist eines klar: Die Sorgen und Nöte unserer Kolleginnen und Kollegen werden auch im Herbst relativ identisch sein zu den Argumenten, die wir derzeit auf den Tisch legen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es dort zu erheblichen Unterschieden in der Argumentation kommen wird. Von daher wage ich zu prognostizieren, dass unsere Forderungen auch für die Beschäftigten der Länder sich ähnlich gestalten werden wie aktuell für die Beschäftigten aus Bund und Kommunen.“
Schlutter: „dbb und verdi schieben die untersten Gehaltsgruppen vor, argumentieren mit Gehältern von 1500 Euro netto, um die Akzeptanz bei der Bevölkerung frühzeitig zu schüren, wenn denn der Müll in Folge des Streiks stehen bleibt oder Kitas geschlossen bleiben. Das ist nachvollziehbar. Der NBB vertritt aber auch die Lehrergewerkschaften, deren Mitglieder nicht am untersten Ende des Gehaltsgefüges angesiedelt sind. Wie wollen Sie den Spagat hinbekommen, wenn am Ende eventuell eine 10 vor dem Komma stehen wird. Und wird das dann ein heißer Herbst?“
Zimbehl: „Man muss sich aus meiner Sicht das Gesamtgefüge genau angucken.
Unter der Teuerungsrate, sprich der Entwicklung der Inflation, leiden alle Kolleginnen und Kollegen. Diejenigen, die sich in den unteren Einkommensgruppen befinden, leiden natürlich noch deutlicher im Vergleich zu denjenigen, die etwas besser gestellt sind. Gleichwohl besteht auch hier ein deutlicher Nachholbedarf, was die Einkommenssituation und vor allen Dingen die Perspektive angeht.
Ein weiteres Argument spielt schon in diesen Tarifverhandlungen eine Rolle und wird mit Sicherheit auch im Herbst eine besondere Bedeutung haben. Dieses Argument trifft übrigens insbesondere auf die Bildungsbereiche zu.
Denn neben der schwierigen Einkommenssituation unserer Beschäftigten haben wir angesichts einer absoluten Arbeitsverdichtung und des demografischen Wandels die große Problematik, dass wir viel zu wenig junge und geeignete junge Leute in unsere Berufe bekommen. Diese Situation stellen wir insbesondere im Bildungsbereich fest.
Was möchte ich damit sagen: Wenn es uns gelingen soll wieder ausreichendes und vor allen Dingen qualifiziertes Personal als Nachwuchs für unsere Unterrichtsräume zu bekommen, dann müssen wir diesen Personalangebote machen. Und natürlich blicken junge Menschen nicht nur auf Arbeitsbedingungen sondern auch auf persönliche Perspektiven und die letztendliche Frage, was in einem neuen Job zu verdienen sein wird. Das ist eine absolut nachvollziehbare und gelebte Situation.
Der Kampf um die besten Köpfe beginnt schon kurz nach dem Schulabschluss. Wir müssen es schaffen, interessierten jungen Menschen Angebote zu machen für ihre dann folgenden vierzig Berufsjahre, denn ansonsten schnappen uns andere Arbeitgeber diese jungen Menschen vor der Nase weg. Auch aus diesem Grunde liegt in den Tarifrunden 2023 eine besondere Situation – Chance, aber auch Risiko zugleich.
Aus diesem Grunde richte ich meinen dringenden Appell an alle Kolleginnen und Kollegen, uns bei diesen Tarifverhandlungen und den Aktionen zu unterstützen. Es geht um unser aller Zukunft, sowohl unsere persönliche Zukunft, als auch die Zukunft in unseren Berufen. Das ist die ganz besondere Herausforderung in diesem Jahr und ich bin mir sehr sicher, dass es uns noch mehr gelingen wird diese Argumente voranzutreiben.“