Keine Denkverbote, sondern Probleme lösen

Lehrkräftemangel währt noch lange/Schule neu denken und dabei erfinderischer werden

Der akute Lehrkräftemangel ist ein Dauerthema in der Bildungspolitik – und verschärft sich zusehends durch den demografischen Wandel, die anschwellende Pensionierungswelle und den fehlenden Nachwuchs. Experten gehen davon aus, dass die Durststrecke noch mindestens 20 Jahre andauern wird. Derweil versuchen einzelne Bundesländer, dem drohenden Exodus des Bildungssystems durch Abwerbeangebote kombiniert mit höheren Gehältern wie Bayern oder der Verbeamtung nach dem Bachelor wie in Brandenburg zu begegnen. Um der besorgniserregenden Situation Herr zu werden, hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) jetzt Vorschläge unterbreitet, die auf den ersten Blick ein vergiftetes Angebot zu sein scheinen und die ohnehin überlasteten Lehrkräfte noch weiter zu belasten drohen: Weniger Teilzeit, größere Klassen, mehr arbeiten und mehr Hybridunterricht.

„Natürlich könnte man der Politik mit dem Blick zurück Versagen auf ganzer Linie vorwerfen, weil sie das System hat ausbluten lassen. Nur ändert das nichts an dem Problem. Besser ist es, konstruktiv nach vorne zu schauen. Insofern lohnt es sich, die Vorschläge, die die SWK jetzt vorgelegt hat, mal lösungsorientiert aufzugreifen und im Detail zu betrachten – mit dem erklärten Ziel, Schule völlig neu zu denken und dabei erfinderischer zu werden. Nur so kann die berufliche Bildung den Bildungsauftrag auch morgen noch erfüllen“, sagt Joachim Maiß.

Dabei spricht sich der VLVN-Vorsitzende klar gegen jedes Denkverbot aus und verweist darauf, dass die Mittel für die rund 5000 offenen Lehrerstellen in Niedersachsen, die mangels Lehrkräften nicht besetzt werden können, im Grunde bereitstünden, bisher nicht abgerufen werden konnten und zweckentbunden werden müssen, damit man die berufliche Bildung damit auf andere Weise entlasten kann.

„Es lohnt sich, einmal über den Tellerrand des öffentlichen Dienstes hinauszublicken und zu schauen, wie innovative Unternehmen ihre Arbeitgeberattraktivität steigern und zahlreiche Mehrwerte bieten, um bei dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel dringend benötigte neue Mitarbeiter für sich zu begeistern. Da müssen wir auch hinkommen“, sagt Maiß und liefert gleich einen Schwung an Denkanstößen: Wenn beispielsweise Pensionäre für den Unterricht reaktiviert werden sollen, muss die steuerrechtliche Problematik bei der Zuverdienstgrenze gelöst werden, um dann lohnende Stundenlöhne bezahlen zu können, die den Wiedereinstieg attraktiv machen.

„Mit offenen Unterrichtsformen und flexibleren Arbeitszeitmodellen, beides fordern wir schon lange, lässt sich auch dem Problem begegnen, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler immer weniger Lehrkräften gegenüberstehen. Und wenn dann noch Leistungsanreize implementiert werden, die die Mehrarbeit reizvoll machen und dies bei gleichzeitiger Entlastung der Aufgaben jenseits des Unterrichts durch Multiprofessionelle Teams erfolgt, lässt sich der Lehrermangel durchaus abfedern“, sagt Maiß, der die Sicht der SWK teilt, dass die vorhandenen Personalressourcen einzig und allein für den originären Unterricht genutzt werden müssen und nicht überfrachtet werden dürfen mit Bürokratie und unterrichtsfernen Tätigkeiten.

Auch bei dem Reizthema Teilzeit lohnt eine differenzierte Betrachtung. „Teilzeit reduzieren, heißt im Klartext: Sehr viele Leute reduzieren aufgrund einer beruflichen und familiären sehr hohen Belastungssituation ihr Stundenkontingent. Weil seitens des Dienstherren keine Entlastung kommt, muss man sich die Entlastung selber erkaufen. Wenn jetzt weniger Teilzeit genehmigt wird, führt das dazu, dass die Lehrkräfte noch mehr belastet werden. Das wiederum kann dazu führen, dass der Krankenstand weiter steigt. Dabei ist es besser, eine Teilzeitkraft zu haben als einen weiteren erkrankten Kollegen. Aber: Wenn zeitgleich aktive Gesundheitsvorsorge angeboten wird und den individuellen sachlichen Gründen für die Stundenreduzierung durch gezielte Entlastung bis hinein ins Private entgegengewirkt wird, ließen sich hier Ressourcen heben“, sagt Maiß.

Auch die Ausweitung von Hybridunterricht und Selbstlernzeiten in höheren Klassenstufen sowie den flexiblen Umgang mit Klassengrößen ab der Sekundarstufe I, kann – wenn Schule eigenverantwortlich agieren kann und die Freiräume didaktisch-pädagogisch nutzen kann – durchaus Vorteile bieten. Und die systematische Qualifizierung von Quer- sowie Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern, die auf viele Jahre angelegt sein muss, mildert den Lehrkräftemangel ebenfalls ab. „Allerdings ist die grundständisch ausgebildete Lehrkraft immer erste Wahl. Nur gibt es davon aktuell viel zu wenig. Und wenn sich das bisher starre System nicht auf allen Feldern dynamisiert und darüber der Lehrkräfteberuf wieder attraktiv werden kann, wird der Lehrkräftemangel auch in 20 Jahren noch immer eklatant sein“, warnt Maiß.

Entscheidend sei jetzt, dass das, was die SWK als Katalog vorgelegt hat, schnell mit Leben gefüllt wird und alle Entlastungen, die in dem Paket geschnürt sind, auch parallel dazu zeitgleich umgesetzt werden. „Es darf nicht wieder so ein Rohrkrepierer wie das Versprechen ‚von A13 für alle‘ darunter sein, um dann zurückrudern zu müssen, weil es handwerklich nicht so einfach umzusetzen ist. Denn dann wäre auch das letzte Vertrauen bei der Lehrerschaft verspielt“, sagt Maiß.

 

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