Vergisst die Politik die berufliche Bildung?

VLWN kritisiert: Kultusminister Tonne blendet BBSen bei Unterrichtsversorgung aus

Es ist schon bezeichnend. Wann immer das niedersächsische Kultusministerium sich zur aktuellen Unterrichtsversorgung an den Schulen äußert, bleiben die berufsbildenden Schulen unerwähnt. Dabei ist der Lehrermangel an den 134 BBSen im Land eklatant. Die Unterrichtsversorgung liegt seit Jahren bei gerade einmal 90,7 Prozent. Das bedroht zunehmend die Ausbildungsqualität, weil immer mehr Stunden ausfallen müssen. Und Besserung ist nicht in Sicht. „Bei dem aktuellen Sachstandsbericht hat Grant Hendrik Tonne Mitte Januar eine leichte Verbesserung der Unterrichtsversorgung im aktuellen Schuljahr an den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen herausgehoben und spricht von einem landesweiten Schnitt von 99,6 Prozent. Das ist erfreulich. Nur leider bleiben die berufsbildenden Schulen dabei unberücksichtigt und werden mit keinem Wort erwähnt“, sagt Joachim Maiß, Vorsitzender des Landesverbandes der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen (VLWN).

Maiß beschleicht das Gefühl, dass die berufliche Bildung in Niedersachsen ein ungeliebtes Kind ist und als fünftes Rad am Wagen empfunden wird. „Anders lässt es sich nicht erklären, dass die berufsbildenden Schulen trotz des eklatanten Personalmangels und des damit einhergehenden Unterrichtsausfalls die BBSen aus dem Fokus des Ministers entrückt sind“, sagt Maiß und kritisiert: „Während die Gymnasien mit 102,2 Prozent die am besten versorgte Schulform ist und auch die Grundschulen mit 101,5 Prozent gut dastehen, muss die berufliche Bildung weiterhin wegen verfehlter Personalpolitik gegen eine Unterrichtsversorgung von 90 Prozent ankämpfen und blutet weiter aus. Bildung ist mehr als Allgemeinbildung!“

Dass es der Politik gelungen sei, im Kalenderjahr 2019 rund 800 Lehrkräfte für die allgemeinbildenden Schulen mehr einzustellen, als in Pension gegangen sind, und dies zu einer leichten Verbesserung der Unterrichtsversorgung geführt habe, „ist positiv. Nur wurde die chronisch unterversorgte berufliche Bildung dabei vergessen“, sagt Maiß und betont: „Dem Stellenaufwuchs bei den allgemeinbildenden Schulen steht ein Stellenabbau bei den berufsbildenden Schulen von 400 Stellen seit 2012 gegenüber.“

Um die Unterrichtsversorgung an den 134 niedersächsischen Berufsschulen auf die von der Politik definierte Sollstunden-Zahl zu heben, müsste das Land 11 500 Lehrerstellen finanzieren. Im aktuellen Haushalt sind aber nur 10 445 eingestellt, so dass die verfügbaren Personalressourcen bei gerade einmal 88 Prozent liegen. Damit fehlen 12 Prozent bei der Unterrichtsversorgung.

Die Situation ist dramatisch. Ein weiter so wie in der Vergangenheit sei schlicht nicht mehr möglich. Um die hohe Qualität der beruflichen Bildung zu sichern und damit den Ansprüchen der Betriebe, der Kammern und der Schülerinnen und Schüler nachzukommen, ist die Investition in die berufliche Bildung alternativlos. Darum forderte der VLWN bereits 2019 von der Politik, mindestens 500 zusätzliche Lehrerstellen dauerhaft zu finanzieren, um die Unterrichtsqualität an den BBSen zumindest auf dem jetzigen Niveau halten zu können. Das kann als Minimalkonsens auch sukzessive erfolgen: Pro Jahr 100 zusätzliche Lehrerstellen, die geschaffen werden und die im Haushaltplan verankert sind.

Angesichts von 321 dualen Ausbildungsberufen und unterschiedlichen Vollzeitschulformen, die einen Schulabschluss vom Hauptschulabschluss bis zur allgemeinen Hochschulreife alles ermöglichen, ist die Arbeitsbelastung für BBS-Lehrkräfte überdurchschnittlich hoch. „Die 11 000 Lehrkräfte an den BBSen gehen längst auf dem Zahnfleisch. Die Arbeitsbelastung muss deutlich reduziert und es müssen mehr Lehrer eingestellt werden, und zwar sofort“, fordert Maiß.

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