„Wir müssen ins neue Lernen kommen“

VLWN-Delegiertenkongress: Gut 100 Berufsbildner im Dialog mit der Politik/Kultusministerin Hamburg als Gastrednerin beim festlichen Abendempfang/Grundtenor: Schule neu denken

 

Wenn die Politik den Haushalt 2024 so beschließt, wie er jetzt vor liegt, dann wird es im kommenden Jahr die ersten 100 unbefristeten Stellen für nichtlehrendes Personal an den berufsbildenden Schulen in Niedersachsen geben. Das bestätigte Melanie Walter, Leiterin der Abteilung 4 im Kultusministerium, als Gastrednerin bei der VLWN-Delegiertenversammlung im Leonardo-Hotels am Tiergarten in Hannover Ende November. „Dank der intensiven Mitarbeit des VLWN konnten wir ein Konzept für multiprofessionelle Teams in den BBS vorlegen. Das ist bei den allgemeinbildenden Schulen bisher nicht gelungen. Danke dafür“, sagte Melanie Walter vor gut 100 Verbandsmitgliedern, die den Weg in die Landeshauptstadt trotz Wintereinbruchs gefunden hatten.

Bei dem einen „Danke“ blieb es nicht. Was das gute wechselseitige Vertrauensverhältnis zwischen dem Verband und dem MK unterstreicht. Das bekräftigte auch Kultusministerin Julia Willie Hamburg am Vorabend der Delegiertenversammlung beim festlichen VLWN-Empfang und sagte: „Bei der Zusammenarbeit in der AG BBS PerManent waren und sind die kreativen Impulse und pragmatischen Vorschläge des VLWN immer befruchtend.“

Der konstruktive Dialog ist auch notwendig, um die berufliche Bildung zukunftssicher aufzustellen und die fortwirkende Transformation auf allen Feldern als Schwungmasse zu nutzen, Schule neu zu denken. Das machte der VLWN-Vorsitzende Joachim Maiß in seiner Eröffnungsrede deutlich: „Einfach weitermachen wie bisher ist keine Alternative für die berufliche Bildung. Die Lehrkräfte sind seit langem überlastet, der Lehrermangel ist eklatant und die Überfrachtung mit Tätigkeiten, die nichts mit der originären Aufgabe einer Lehrkraft zu tun hat, frisst immer mehr Zeit. Das Schulsystem, in dem wir gefangen sind, ist 150 Jahre alt, stammt aus dem Preußentum, passt schlicht nicht mehr in die Zeit und muss ersetzt werden. Wir müssen ins neue Lernen kommen. Ein positives Beispiel, das man adaptieren könnte, ist das Konzept der Allemannenschule in Wutöschingen.“

Positiv sei, dass mit dem Wechsel der Landesregierung noch nie so viel berufliche Bildung in einem Koalitionsvertrag festgeschrieben worden sei wie aktuell und die zentralen Forderungen des VLWN beinhalte. „Die im Kultusetat bereitgestellten Mittel für die ersten 100 Stellen für multiprofessionelle Teams zeigen, dass die Politik ins Handeln kommt“, sagte Maiß. Melanie Walter lieferte in dem Kontext gleich mehrere Beispiele, wo das Kultusministerium neue Wege beschreitet, um der Mangelwirtschaft in den BBS zu begegnen.

Mit dem „Quereinstieg im Studium“, bei dem nach einem Bachelor ein Master of Education den Weg in den Lehrerberuf zeitversetzt ebnet, hat Niedersachsen ein Instrument geschaffen, um eine steigende Anzahl an Lehrkräften speziell in Mangelfächern wie Elektrotechnik, Fahrzeugtechnik, aber auch in der Pflege zu gewinnen. Mit dem Modellprojekt in Osnabrück, wo ein Praxissemester in die Lehrerausbildung integriert wird, wird mehr Schulpraxis wie gewünscht ins Studium eingebettet. „Wir sind bereit und willens, weitere Modellversuche zu starten, sowohl bei der Frage um neue Arbeitszeitmodelle, die die nötige Flexibilität versprechen, als auch bei der VLWN-Idee, den Kaufmann fürs Schulwesen an den BBS ausbilden zu lassen, um mit einem Backoffice Entlastung zu schaffen“, sagte Melanie Walter und betonte: „Denkbar seien auch Modelle jenseits der aktuellen Gesetzeslage, um den Freiräume-Prozess zu beschleunigen.“

Außerdem solle die berufliche Orientierung neu aufgestellt, auch in BBS verankert und im Schulgesetz festgeschrieben werden. „Ein entsprechender Antrag ist formuliert“, sagte Walter und machte auch noch einmal deutlich, dass die Politik das berufliche Gymnasium stärken will. „Das wird von den Schulträgern zu selten mitgedacht. Wichtig ist hier, die Alleinstellungsmerkmale klar zu definieren und in die Öffentlichkeit zu tragen“, so Walter. Bei dem Thema Schließung des Studiengangs Wirtschaftswissenschaften in Lüneburg, unterstrich Walter das, was Kultusministerin Hamburg bereits am Vorabend klar gemacht hat: „Wir müssen die Ausbildungskapazitäten in Niedersachsen sichern und setzen alles daran, den Studiengang in Lüneburg zu erhalten. Da haben Sie uns an Ihrer Seite.“

Dass der verwaltete Lehrkräftemangel der letzten Jahrzehnte nicht von heute auf morgen beseitigt werden kann, hat Julia Willie Hamburg schon kurz nach ihrem Amtsantritt klargemacht und seinerzeit mit der Äußerung, der Mangel werden uns noch zehn Jahren beschäftigen, eine unangenehme Wahrheit ausgesprochen. Daran knüpfte sie in ihrer Rede an: „Es hilft ja nicht, etwas schön zu reden, sondern realistisch voranzuschreiten. Ja, es ist ein Weg der 1000 Schritte, weil alle gegenwärtigen Probleme miteinander verwoben sind und dadurch immer größer werden. Fakt ist, die schlechten Zeiten fangen erst an und wirken demografisch bis 2029.“

Hamburg griff zahlreiche Themen und heiße Eisen auf: Ja, neue Arbeitszeitmodelle müssen ausprobiert werden, das Beamtenrecht müsste flexibler werden, die Debatte um Freiräume sei extrem wichtig, ProReKo 2.0 sei in diesem Zusammenhang ein Schritt in die richtige Richtung, BFS dual biete ebenfalls Spielräume, etwas Neues auszuprobieren. „Es ist ein Innovationsvorhaben, bei dem die Schulen individuell entscheiden können, in welchem Umfang sie hier mitgehen wollen“, warb Hamburg um Zuspruch für dieses Vorhaben, die sich im VLWN-Kreis sichtlich wohl fühlte, deutlich länger blieb, als es das Protokoll vorsah, und intensive Gespräche mit zahlreichen Gästen führte.

Auch die bildungspolitischen Sprecher der relevanten Fraktionen im Landtag waren der Einladung zum Empfang gefolgt. Lena Nzume (Grüne) sagte: „Schule muss sich an die gesellschaftlichen Realitäten anpassen und entsprechend zukunftsgerecht aufgestellt werden. Das fängt bei offenen Lernorten für ein kollaboratives Miteinander an, setzt sich über multiprofessionelle Teams fort und endet noch lange in der konsequenten Digitalisierung, die Qualität der beruflichen Bildung hervorzuheben.“

Christian Fühner von der CDU sagte: „Die Belastung der Lehrkräfte ist enorm. Wir müsse das Problem so händeln, dass Entastung stattfindet. Dass Lehrkräfte fehlen, ist hinlänglich bekannt. Fakt ist aber auch, dass die Lehrerstellen und das dafür notwenige Geld vorhanden sind. Das Geld müssen wir den Schulen zur Verfügung stellen, um beispielsweise die Schulsozialarbeit deutlich ausbauen zu können. Denn die sozialen Spannungen nehmen zu – auch in den Klassenräumen.“

Christoph Bratmann (SPD) knüpfte da an und sagte: „Die Fehleinschätzung zum Lehrkräftebedarf wirkt seit 20 Jahren. Um hier entgegenzuwirken, müssen einerseits der Quereinstig vereinfacht werden und zeitgleich mehr Studienplätze aufgebaut werden. Gleichsam müssen Klassen verkleinert werden, um die Schülerinnen und Schüler individueller fördern zu können. Bei diesen ganzen Diskussionen erlebe ich den VLWN als innovativen und engagierten Gesprächspartner, der lösungsorientiert voranschreitet. Was ProReKo 2.0 betrifft, da bin ich ein Fan. Als Lehrer habe ich während der ersten ProReKo-Phase die Eigenständigkeit genossen. Das muss weiterentwickelt werden.“

Als externer Impulsgeber beim Delegiertenkongress war Bob Blume, Lehrer, Blogger, Podcaster und Bildungsinfluencer, online zugeschaltet. Zum Thema Schule der Zukunft stellte er die gegenwärtige Realität dem notwendigen Umbau zum neuen Lernen gegenüber. Der Ist-Zustand sei: Gleichaltrige lernen zur gleichen Zeit im gleichen Fach beim gleichen Lehrer im gleichen Raum mit gleichen Mitteln mit der gleichen Haltung in der gleichen Zeit und stellen gleiche Fragen. „Das ist preußischer Drill. Seither hat sich nichts geändert, nur dass im Klassenraum nicht mehr gezüchtigt wird“, sagt Bob Blume. Das neue Lernen geht so: Schülerinnen und Schüler sind intrinsisch interessiert, lernen zu selbstgewählten Zeiten überfachlich mit unterschiedlichen Mentoren in selbst gewählten Räumen mit selbstgewählten Mitteln bei selbst eingeteilter Zeit. Das eigene Handeln erzeugt individuelle Fragen und steigert die Neugier.

„Die Paradoxien der Bildung von morgen müssen als Haltung verinnerlicht werden. Dinge akzeptieren und gleichzeitig in Frage stellen. Spontan werden und das planen. Angst zulassen und mutig werden. Überfordert sein und kein Problem damit zu haben. Offen für Neues sein und breit sein, Dinge zu verlernen, Fehler fördern, um sie zu vermeiden“, sagte Bob Blume.
Nach dem Mittagessen ging es dann mit der Tagesordnung weiter im Takt. Die jeweiligen Vorstandsmitglieder informierten über ihre Tätigkeitsfelder und Aktivitäten der letzten Zeit. Im Fokus standen dabei natürlich die Tarifverhandlungen mit der Forderung von einem Lohnplus von 10,5 Prozent aber mindestens 500 Euro mehr. Gerd Redding, stellvertretender Vorsitzender, ehrte Hauke Wichmann, der nicht nur den Ortsverein Göttingen wieder mit Leben gefüllt hat, sondern in den letzten zwei Jahren 20 neue Mitglieder für den VLWN gewonnen hat. Darunter ein Schwung ehemaliger GEWler, die zu den Berufsbildnern gewechselt sind. In seiner Schlussrede stellte Joachim Maiß dann kurz noch die neue VLWN-App vor, die im Rahmen der Delegiertenversammlung nach einer ausgiebigen Probephase ausgerollt wurde und zum Start 2230 aktive Mitglieder eingetragen wurden.

Diesen Beitrag teilen

Email
Drucken
Facebook
Twitter

Letzte Beiträge

Schon bewegte Zeiten

Jahresrückblick zu Aktivitäten des VLWN im Jahr 2024 – samt Ausblick   Das Jahr 2024 war geprägt von zahlreichen spannenden Veranstaltungen, wegweisenden Projekten und intensiven

Weiterlesen »
Skip to content