„Es hat mir riesigen Spaß gemacht“

VLWN-Delegiertenversammlung: Verband wählt neuen Vorstand und verabschiedet Joachim Maiß nach neun Jahren an der Landespitze/Ulf Jürgensen übernimmt

Was für ein Empfang für die berufliche Bildung: Kultusministerin Julia Willie Hamburg, Staatssekretär Stephan Ertner, die bildungspolitischen Sprecher der SPD, der CDU und der Grünen sowie dbb-Landesvorsitzender Alexander Zimbehl – sie alle würdigten den scheidenden VLWN-Landesvorsitzenden Joachim Maiß beim Gala-Empfang am Abend vor der Delegiertenversammlung in Hannover als Treiber und Innovator für die berufliche Bildung in Niedersachsen. Als angenehmen wie herausfordernden Gesprächspartner, der allzeit konstruktiv für die Sache gearbeitet hat und seiner Zeit immer drei Schritte voraus war. Und sie sagten allesamt Danke für die gute wie befruchtende Zusammenarbeit. Nach neun Jahren an der Spitze des Landesverbandes trat Joachim Maiß wie lange angekündigt tags drauf bei der Vorstandswahl nicht wieder an. Die Delegierten wählten Ulf Jürgensen mit überwältigender Mehrheit zum Nachfolger und damit zum neuen VLWN-Landesvorsitzenden.

 

Mit Blick auf die avisierte Fusion mit dem BLVN hat der erweiterte Vorstand des Verbandes im Vorfeld der Wahl entschieden, sein Spitzengremium zu verschlanken. Statt sechs Stellvertreterinnen und Stellvertreter im Landesvorstand gibt es nur noch drei. Wobei Kontinuität bei der Wahl maßgeblich war. Wiedergewählt und damit in ihren Ämtern bestätigt wurden Annette Hermes (Recht und Besoldung), Birgit Schlieper-Dembski (Gesundheit und Gleichstellung) und Thorben Teyke (Bildungspolitik und Mitglieder). Ausgeschieden sind Gerd Reddig, der als „Finanzminister“ weiterhin an Bord bleibt, Marcus Schlichting, der ebenfalls im „Backoffice“ den neuen Landesvorstand unterstützt, und Michael Müller, der sich bereits vor einem Jahr zurückgezogen hatte. Den Aufgabenbereich von Michael Müller hat Pascal Ströhlein in Expertenfunktion übernommen.

 

Ein starkes wie bewährtes Team, auf das sich Ulf Jürgensen als neuer Landesvorsitzender gerne und bewusst stützen möchten. „Ich leite in Burgdorf eine BBS mit 3.500 Schülerinnen und Schülern und damit einer der größten Berufsschulen im Niedersachsen. Die Zeit, die Joachim in den letzten Jahren in die Verbandsarbeit investieren konnte und dabei zahlreiche relevante Themen gesetzt hat, an denen wir weiterarbeiten wollen, habe ich schlicht nicht“, sagte der 62-Jährige, der Maiß gut ein Jahr lang bei allen wichtigen Terminen begleitete und die nötigen Einblicke hinter die Kulissen bekam.

 

Umso wichtiger sei es, mit einem eingespielten Team vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, um die zentralen Themen der beruflichen Bildung wie die ‚BBS der Zukunft‘, die ‚Attraktivitätssteigerung des Lehrkräfteberufs‘ zu forcieren und damit die berufliche Bildung auch weiterhin zu stärken. „Wir müssen auf das Kultusministerium einwirken, damit Melanie Walters Stelle nachbesetzt wird, weil ich das Gefühl habe, dass die berufliche Bildung trotz aller Lippenbekenntnissen sonst hinten runterzufallen droht“, sagte der zweifache Familienvater.

 

Mit Joachim Maiß tritt ein bedeutsamer Akteur der beruflichen Bildung aus dem Scheinwerferlicht zurück ins zweite Glied. Mehr als 40 Jahre engagierte sich der leidenschaftliche Segler im Verband. Er hat die MMBbS an der Expo Plaza aufgebaut und 20 Jahre geleitet. In seiner aktiven Dienstzeit wurde er fünf Mal ins Ministerium abgeordnet und hatte darüber ein feines Gespür dafür bekommen, wie Verwaltung und Politik ticken. Neben dem Ehrenamt als VLWN-Landesvorsitzender hat sich der gut 70-Jährige auch auf Bundesebene engagiert. Er hat gemeinsam mit Eugen Straubiger vier Jahre lang den BVLB geleitet, wo er mittlerweile Ehrenvorsitzender ist. „Es hat mir riesigen Spaß gemacht, mich für die berufliche Bildung einzusetzen“, sagte Joachim Maiß zum Abschied.

 

Dass er riesigen Spaß an der Sache hatte, attestiere auch Kultusministerin Julia Willie Hamburg in ihrem Grußwort beim Gala-Empfang. „Ich bin froh, dass ich mit Joachim Maiß zusammenarbeiten durfte. Er hatte als verlässlicher Ansprechpartner immer auch ein offenes Ohr für die Belange des Kultusministeriums. Dafür danke ich Ihnen Herr Maiß“, sagte Hamburg, um dann zu den aktuellen Themen hinüberzuschwenken: „Der Aufwuchs bei den Multiprofessionellen Teams kommt. Statt der erhofften 100 pro Jahr, werden es erstmal 50 sein. Der Digitalpakt 2.0 kommt ebenfalls, wobei er nur mit 50 % des Geldes vom letzten Mal ausgestattet sein wird. Und bei der digitalen Ausstattung werden auch die BBSen bedacht und bekommen iPads. Die sind haushalterisch on top und werden nicht aus dem Digitalpakt 2.0 bezahlt.“

 

Christopf Bratmann, vom bildungspolitischen zum wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion gewechselt, sagte: „Der VLWN hat immer konstruktive Vorschläge unterbreitet und dafür notwendige Rahmenbedingungen eingefordert, um die berufliche Bildung auf Zukunftskurs zu halten. Joachim Maiß war hier unheimlich prägend und ein Visionär für die BBS. Die berufliche Bildung gewährleistet den so wichtigen Fachkräftenachwuchs für Wirtschaft und Handel und ist damit gesellschaftlich als wichtiger Player verortet. In dem Sinne freue ich mich auf die weitere gute Zusammenarbeit.“

 

Christian Fühner, bildungspolitischer Sprecher der CDU, merkte kritisch an: „Die BBS wird immer mal wieder stiefmütterlich behandelt und nicht mitgedacht. In solchen Fällen hat Joachim Maiß immer wieder gezielt den Finger in die Wunde gelegt, um den Stellenwert der beruflichen Bildung zu stärken. Die gepflegte konstruktive Zusammenarbeit ist nicht unbedingt bei allen Verbänden so ausgeprägt. Was die Digitalisierung betritt, bin ich dafür, die Hälfte der 800 Millionen Euro, die über die nächsten zehn Jahre in iPads investiert werden sollen, den Schulen als eigenverantwortlich zu verwaltende Summe zur Verfügung gestellt werden.“

 

Lena Nzume, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, stimmte in die Danksagung mit ein und  fokussierte sich dann auf das Thema Gewalt und psychische Belastung. „Wir müssen mehr Antidiskriminierungsstellen aufbauen und mehr Geld für Kooperationen mit außerschulischen Partnern investieren. Coachingangebote für Lehrkräfte sind darüber hinaus essenziell.“

 

Und Alexander Zimbehl, dbb-Landesvorsitzender, stieg mit seiner Danksagung ein, um dann zum Thema Alimentation Aktuelles zu sagen: „Lieber Joachim, ich danke Dir für die gemeinsame Zeit, für Deine Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit, mit der Du auch auf gewerkschaftlicher Landesebene die berufliche Bildung stets bestens vertreten hast. Ich komme gerade aus Berlin, wo das Bundesverfassungsgericht die Beamtenbesoldung in Berlin als verfassungswidrig eingestuft hat. Ich bin guter Dinge, dass diesen Urteil Strahlkraft nach Niedersachsen hat und der seit 20 Jahren schwelende Rechtsstreit hier zum positiven Ende geführt wird.“

 

Joachim Maiß selbst nutzte seinen letzten großen Auftritt vor gut 100 geladenen Gästen dazu, noch einmal  kritisch wie konstruktiv in der ihm üblichen Art die zentralen Bildungsthemen anzusprechen: „Die letzte IQB-Studie war eine Watsche. Da reicht es nicht, ein, zwei oder drei zusätzliche Mathestunden in den Stundenplan zu implementieren. Nein, wir müssen Schule ganzheitlich neu denken und die BBS der Zukunft nach Vorbild von Wutöschingen auf den Weg bringen. Hier sind wir beim letzten Thinktank zu dem Thema ein ganzes Stück vorangekommen. In Garbsen soll eine moderne, KI-gestützte Berufsschule als Landeschule in den OneTechCampus integriert werden, wo auch die Lehrerausbildung und das Studienseminar sowie die Lehrerfachausbildung mit angedockt sind. Hier kann ein Leuchtturmprojekt erwachsen, das Bildung Digitalisierung und Wirtschaftsentwicklung an einem Ort bündelt.“ Auch an diesem Thema wird der VLWN weiterarbeiten und seine Expertise einbringen.

 

Maiß merkte positiv an, dass im Koalitionsvertrag so viel berufliche Bildung drinstecke wie noch nie. „Allerdings muss davon noch vieles umgesetzt werden. Die BBS permanent ist ein gutes Beispiel dafür, wie Berufsbildner und Politik zielführend zusammenarbeiten. Andererseits ist die BBS häufig hinten runtergefallen – und das, obwohl Frau Ministerin Hamburg dankenswerterweise zahlreiche zusätzliche Millionen für die Bildung losgeeist hat. Hier wartet noch einiges an Arbeit. Um dem eklatanten Lehrkräftemangel in der BBS entgegenzuwirken, ist es essenziell, die Einstieggehälter der LIV massiv anzuheben. Ansonsten wandern immer mehr Referendare in die Wirtschaft ab und sind für den Schuldienst verloren.“

 

Die zweitägige Veranstaltung im Leonardo-Hotel am Tiergarten startete mit einem Workshopangebot für den Erweiterten Vorstand, bei dem das Thema Coaching im Fokus stand. Als Keynote-Speakerin führte Prof. Dr. Julia Gillen, Vizepräsidentin für Bildung und im Vorstand des Instituts für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung an der Leibniz-Universität Hannover, in den Tag ein und beleuchtete die „Lehrkraft in Wandel – zwischen Coach, Wegweiser und Beziehungsprofi“. Ihr Impetus: „Die Transformation der Bildung vollzieht sich nicht nur in der technischen und räumlichen Entwicklung, sondern ist auch ein gesellschaftlicher Prozess, der den Unterschied zwischen den Generationen widerspiegelt.“

 

„Die Generationen Y und Z ticken völlig anders als wir, die als Lehrkräfte noch mit dem Wissen der Vergangenheit ausgebildet worden sind. Entsprechend ist auch die Erwartungshaltung eine völlig andere.  Freies Lernen an Lernorten, die nicht kasernieren, sondern Lust auf Lernen machen, werden schlicht eingefordert. Weil es andernorts schon praktiziert wird.  Entsprechend verändert sich auch das Binnenverhältnis zwischen Lernenden und Lehrenden. Lehrkräfte, die auf Frontalunterricht setzen, passen nicht mehr in die Zeit. Gefordert sind Lernbegleiter, die die Kommunikationskanäle der jungen Menschen bespielen müssen, um sie zu erreichen. Fakt ist: Schülerinnen und Schüler leiden unter Schule, weil sie nicht gehört werden und ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden. Das muss sich ändern“, sagte Gillen.

 

Abschließend steht fest, dass sich das Format einer zweitägigen Veranstaltung bewährt hat. Kommunikation und Diskussion standen im Vordergrund.                                          Stefan Schlutter

 

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