Die Zukunft der Schule beginnt jetzt

VLWN gestaltet erste Bildungspolitische Tagung der Niedersächsischen Bildungsverbände aktiv mit

Für den Zukunftsforscher Prof. Dr. Olaf-Axel Burow (70) befindet sich Schule im radikalen Wandel. Der wichtigste Schlüssel für die Zukunft ist für den Gesellschaftswissenschaftler, der an der Universität Kassel allgemeine Erziehungswissenschaften lehrt, die Fähigkeit zum selbst organisierten Lernen. Infolgedessen propagiert er das „Ende des Klassenzimmers“. Als Keynotespeaker der ersten Bildungspolitischen Tagung der Niedersächsischen Bildungsverbände unter dem Dach des NBB, die der VLWN aktiv mitgestaltete, forderte er Ende Juni im Maritim Airport Hotel, Schule zukunftsfähig aufzustellen und Wohlfühllernorte zu schaffen. Gut 80 Kolleginnen und Kollegen ließen sich von dem kurzweiligen, bisweilen humorvollen Vortrag inspirieren – wobei durchaus auch kontroverse Stimmen zu hören waren, weil die Vorschläge Einigen zu radikal waren.

„Wir leben im Zeitalter der großen Beschleunigung. Die Transformationsgeschwindigkeit nimmt auf fast allen Feldern exponentiell zu. Deshalb müssen wir neue Wege des Lehrens und des Lernens beschreiten sowie Lernorte schaffen, die begeistern. Ansonsten laufen die Bildungsinstitutionen Gefahr, eine zunehmend ineffiziente und für viele Kinder demotivierende Einrichtung zu bleiben. Damit das Bildungssystem nicht zum Verlierer des technologischen Wandels wird, müssen Schulen hier selbst entgegenwirken, indem sie eine schülerzentrierte neue Lehr-/Lernkultur unter kreativer Nutzung digitaler Medien und von KI proaktiv entwickeln“, sagte Prof. Dr. Burow.

Bei der Frage, wie die Schulen in zehn Jahren aussehen könnten, wenn man sie heute zukunftsfähig aufstellen würde, spiele vor allem Resilienz eine entscheidende Rolle, um das System vorausschauend widerstandsfähig zu machen. „Schulen müssen sich öffnen, Experimentierräume mit Leanlabs werden, um kollaboriertes Lernen zu ermöglichen, wo mit Lust und Leidenschaft gelernt wird anstatt von oben oktroyiert. Dabei wandelt sich auch die Rolle der Lehrkräfte, die Lernpartner und Motivator werden anstatt nur Wissensvermittler zu bleiben, die Kompetenzen und Neigungen erkennen und fördern. Fakt ist mal: Die Traditionsschule hat ebenso ausgedient wie der Frontalunterricht. Das war gestern“, sagte Prof. Dr. Burow.

Seine Handlungsempfehlung hin zur Schule der Zukunft: Digitalisierung kreativ nutzen, Talente und Neigungen stärken, neue Bildungsräume erschließen, agile Schulstrukturen schaffen, Demokratie und Gerechtigkeit leben und Zukunftskompetenzen fördern.

Interaktive Lernplattformen ermöglichen schon heute passgenau und individuell zugeschnittene Lernangebote, die sich dem Lerntempo des einzelnen anpassen, gekoppelt mit Motivationstools Lernerfolge generieren und Spaß machen. In der Traditionsschule werden sie kaum eingesetzt. Eine Telekomstudie hat aufgezeigt, dass 51% der befragten Kinder und Jugendlichen schulisches Lernen als Zwang und Druck wahrnehmen, 44 % sind frustriert, wohingegen zwei Drittel sagten, dass ihnen das Lernen außerhalb der Schule leichtfalle. Burows Resümee daraus: „Wir brauchen Lernfreude und Gestaltungslust. KI könnte hier zum Gamechanger werden und den Abschied vom entpersonalisierenden und fabrikmäßigen Fließbandlernen des Industierzeitalters einläuten sowie digitale Assistenten nutzen, um der inneren Berufung zu folgen.“

Die Rahmenbedingungen, um Schule komplett neu zu denken und auch aufzustellen, sind lange da. Ein Beispiel dafür ist die Alemannenschule Wutöschingen. Die einstige Hauptschule war 2005 von der Schließung bedroht, erwuchs durch Eigenengagement des Kollegiums 2008 zur Gemeinschaftsschule, wurde 2019 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet und 2020 um eine gymnasiale Oberstufe erweitert. Die ASW gilt als Vorreiterin des neuen Lernens und Lehrens in Verbindung mit einer dem pädagogischen Konzept angepassten Architektur.

Hier gibt es keine Klassenzimmer mehr, sondern Lernateliers mit personalisierten Arbeitsplätzen, wo altersübergreifend eigenverantwortlich gelernt wird und die Schüler:innen sich das Wissen selbst aneignen sollen. Die Schulbücher wurden abgeschafft, dafür ein digitales Materialnetzwerk geschaffen, das permanent wächst. Statt Zensuren gibt es Gelingensnachweise. Und die Lehrkräfte unterrichten im Schnitt nur noch zwölf Stunden. Die übrige Zeit nutzen sie, um das Materialnetzwerk zu erweitern oder gezielt zu coachen. Und nachmittags gibt es keine Projektarbeit, sondern neigungsgeprägte Clubs. Die Schüler sind „Lernpartner“, die Lehrer „Lernbegleiter“. Was Burow zu dem Abschlussplädoyer ermunterte: „Es geht doch. Einfach machen ist die Devise.“
Eine Devise, die auch die drei bildungspolitischen Sprecher von SPD, CDU und Grünen sowie der neue Leiter der Abteilung 3 im MK, Carsten Milde, in der anschließenden Podiumsdiskussion durchaus mit positivem Nachhall würdigten. Moderator Stefan Schlutter fühlte Pascal Mennen (Grüne), Stefan Politze (SPD) und Christian Fühner (CDU) auf den Zahn. Der Themenfächer reichte von der Reformierung der Lehrerausbildung über Multiprofessionelle Teams bis hin zur Frage, wie denn das angebliche Aus des Digitalpaktes 2.0 bewertet würde? Unisono war die Antwort aus dem politischen Raum: Das sei eine Katastrophe, wenn es so kommen würde.

Die angekündigte Schließung des Studiengangs Wirtschaftspädagogik an der Uni Lüneburg sei wohlmöglich noch nicht beschlossene Sache. „Kultus- und Wissenschaftsministerium sind da gemeinschaftlich im Gespräch mit der Uni-Leitung“, sagte Pascal Mennen, der seinen Wahlkreis in Lüneburg hat. Und: Die Alemannenschule in Wutöschingen wollen sich SPD und Grüne bei einem Besuch vor Ort im Herbst genauer anschauen, weil das spannend sei. Was die Multiprofessionellen Teams betrifft, sie sollen kommen ebenso wie ProReKo 2.0. Dafür sollen die Haushaltsmittel für die zusätzliche Einstellung von Lehrkräfte, die aktuell geparkt sind, weil es keine gibt, genutzt werden können.

Alexander Zimbehl, NBB-Vorsitzender, blickte zum Abschluss ein wenig in die Zukunft und versprach einen heißen Herbst, wenn die Tarifverhandlungen für die Landesbeschäftigten starten. Das Format, verbandsübergreifend den konzertierten Austausch zu proben, kam an. Durch die Reihen wünschten sich die Teilnehmer:innen eine Fortsetzung. Ob Berufsbildner oder Philologen – die bildungspolitischen Probleme seien größtenteils deckungsgleich, so die Meinung aller Kolleg:innen. Und durch den gemeinschaftlichen Schulterschluss der Lehrerverbände unter dem Dach des NBB wird die Schlagkraft für eine bessere Bildung deutlich erhöht.

Hier finden sie die Präsentation des Vortrags von Prof. Dr. Olaf-Axel Burow zum Download.

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