Stärkung der beruflichen Bildung ist Wirtschaftsförderung

IHK und die Berufsbildner fordern konzertiert „ZukunftBBS“/Gemeinsame PK in Hannover

Fehlende Digitalisierung, mangelnde Unterrichtsversorgung, Bedrohung von kleinen BBS-Standorten in der Fläche, eklatanter Lehrermangel bei den Berufsbildnern – die Probleme, mit denen die berufliche Bildung schon seit Jahren zu kämpfen hat, lassen auch in den Betrieben die Alarmglocken schrillen. Denn wenn der schulische Partner der dualen Ausbildung nicht mehr die nötige Qualität gewährleisten kann, geht das zu Lasten der Fachkräfteausbildung. „Die Stärkung der beruflichen Bildung ist Wirtschaftsförderung“, brachte es die IHKN- Hautgeschäftsführerin Maike Bielfeldt bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit den vier Verbänden der beruflichen Bildung (BLVN, NDVB, SLVN, VLWN) auf den Punkt.

 

Zwar seien die Ausbildungszahlen in Niedersachsen relativ konstant, beginnen jedes Jahr 25 000 – 30 000 junge Menschen eine Ausbildung. Dennoch verschärft sich der Fachkräftemangel zusehends – nicht zuletzt in Folge des demografischen Wandels und der damit verknüpften bevorstehenden Rentnerwelle der „Boomer-Generation“. „Die Zuwanderer können die wachsende Lücke nicht schließen. Daher müssen wir die berufliche Bildung attraktiver machen und deutlich in Gänze stärken“, sagte Bielfeldt und betonte: „Je attraktiver eine berufliche Schule ist, desto besser ist es für die Wirtschaft.“

 

Der Themenkanon, der sich positiverweise auch im Koalitionsvertrag als „To-Do“ wiederfindet, ist breitgefächert: Digitalisierung forcieren, Standorte in der Fläche stärken, berufliche Orientierung ausweiten, Entlastung der Lehrkräfte durch multiprofessionelle Teams und mehr “Beinfreiheit” für die BBSen. Das sind die von den Berufsbildern und der IHK definierten „Anforderungen an berufliche Schulen heute und morgen“ – so der Titel des gemeinsamen Positionspapiers.

 

Die nötige digitale Ausstattung (Gigabit, Wlan…) haben die Berufsbildner schon vor Jahren zum notwendigen Status Quo erklärt, ohne dass dies bis heute flächendeckend gewährleistet ist. „Bisher ist nur die Hälfte des Geldes, das Niedersachsen aus dem Digitalpakt zusteht, abgerufen worden. Hier muss endlich die digitale Basisausstattung flächendeckend sichergestellt sein. Der viel wichtigere zentraler Baustein liegt in der fehlenden E-Didaktik. Bei der weiteren Digitalisierung sind E-Didaktik-Professuren, von denen wir noch nicht eine haben“, der Schlüssel zum Erfolg der Umsetzung der Digitalen Transformation in Schule“, sagt Joachim Maiß, VLWN-Landesvorsitzender, und verwies darauf: „Die finanzielle Mitteln, um die berufsbildenden Schulen zu digitalisieren, sind da. Die Bürokratie muss entschlackt werden, damit die Gelder endlich fließen. Und: Technik der Technik willen macht keinen Sinn. Der Mehrwert muss definiert werden.“

 

Um die berufliche Bildung attraktiver zu machen, sei es zwingend erforderlich, dass die Beschulung der Auszubildenden wohnortnah gewährleistet bleibt. „Ansonsten wandern jungen Leute ab, bilden Betriebe in Folge dessen nicht mehr aus und ganze Regionen bluten aus“, sagte Ralph Böse, Landesvorsitzender des BLVN, und weiter: „Die Frage ist doch, wie wir es schaffen können, auf dem platten Land bei sinkenden Ausbildungszahlen dennoch die Beschulung sicherzustellen.“

 

Kontraproduktiv sei die geplante Liste „affinier Beruf“, wo das Ministerium vorgeben will, welche Berufe beziehungsweise Fachklassen gemeinsam unterrichtet werden können. Bisher lag diese Entscheidung im Dialog mit den Betrieben, der IHK und der HWK bei den BBSen.

 

Mangelnde Berufsorientierung führt zu Ausbildungsabbrüchen. „Das ist ein Fakt, dem wir entgegenwirken müssen“, sagte Uwe Backs vom NBVD, der auf das Neustädter Modell verwies, bei dem Neunt- und Zehntklässler für zwei Tage an der BBS in den Beruf hineinschnuppern und sich so selbst ein Bild machen können, ob der Wahlberuf wirklich der Traumjob ist. Daneben müssen die BBSen ein Budget bekommen, um gezielt Berufsorientierung anzubieten. „Die ist aktuell bei den allgemeinbildenden Schulen verankert und entsprechend vom Schulträger budgetiert. Das muss deutlich breiter hin zu den BBSen aufgestellt werden, die diese Aufgabe auch heute schon übernehmen, ohne allerdings einen zeitlichen oder geldlichen Ausgleich zu bekommen.“ Die vielen guten Konzepte zur Berufsorientierung scheitern oft an den Gymnasien, die Berufsorientierung immer noch primär als Studienorientierung betrachten. Auch hier ist Berufsorientierung vorgesehen, der Zugang der Berufsbildenden Schulen an den Gymnasien ist zurzeit noch sehr zurückhaltend. Was angesichts des anhaltenden Drangs der Abiturient:innen in die gut 20.000 Studienangebote, statt den Weg in die 320 anerkannten und zukunftsträchtigen Ausbildungsberufen zu finden, kontraproduktiv ist.

 

Der Lehrermangel ist seit Jahrzehnten ein Problem der BBSen. Gleichsam wurde die Aufgabendichte jenseits des originären Unterrichtens immer weiter erhöht „Zwar gelingt es uns, Quereinsteiger für den Beruf zu begeistern und damit einiges abzufedern. Nur reicht das bei weitem nicht. Da grundständisch ausgebildete Berufsschullehrer:innen Mangelware sind, ist es umso wichtiger, dass wir endlich multiprofessionellen Teams bekommen, die die Lehrkräfte entlasten. Die Ressourcen, die die Berufsbildner in das Verwalten von Entschuldigungen, das Managen von Praktikumsplätzen, das Vorbereiten von Klassenfahren, Statistikpflege oder sonst welche bürokratischen Arbeiten tagtäglich investieren müssen, fehlen als Unterrichtstunden. Das Potential lässt sich schnell durch mehr nicht lehrendes Personal heben. Nur dürfen die BBSen diese Kräfte aus ihrem Personalbudget leider nur befristet einstellen. Das muss sich ändern“, sagte Carsten Melchert..

 

Joachim Maiß, VLWN, betonte: „Ein schlüssiges Konzept zu den multiprofessionellen Teams, die Lehrkräfte unterstützen und entlasten und die Qualität an den Berufsbildenden Schulen erhöhen würde, liegt beim Ministerium auf dem Tisch. Und viele der drängenden Probleme der beruflichen Bildung haben es immerhin in den Koalitionsvertrag geschafft, der an vielen Stellen die Eigenverantwortung und Entscheidung vor Ort vorsieht. Genau das brauchen die Berufsbildenden Schulen bei der Klassenbildung, der Beschaffung, der Einstellung von multiprofessionellen Teams, der Gestaltung der Lehrerarbeitszeit und bei Bildungsangeboten insbesondere bei der Berufsorientierung. Entscheidend ist, dass die Berufsbildner deutlich mehr Beinfreiheit bekommen und eng verzahnt mit den dualen Partnern eigenverantwortlich den Schulbetrieb steuern. Denn die Frage kann nicht sein, was ist erlaubt? Sondern, was ist sinnvoll, um die BBSen zu stärken. Und das wissen die Berufsbildner als ausgewiesene Experten am besten. Wir unterstützen die Politik gerne dabei, die darin festgeschriebenen Begriffe mit Leben zu füllen, damit die BBSen für die Zukunft gestärkt werden.“ Nimmt man das Stichwort ProReKo 2.0 aus dem Koalitionsvertrag und übersetzt es mit #Zukunft BBS dann hat man die zentrale Aufgabe für Politik, Kammern, Verwaltung, Verbände und die Lehrerschaft definiert. Alle zusammen schaffen es. Man muss es nur wollen. Wir hoffen, dass die Politik noch mal so weise ist, wie zum Start von ProReKo 1.0“, sagte Maiß.

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