Delegiertenversammlung: Viel Lob und wenig Handfestes von der Politik

Nicht meckern, machen. Die Berufsbildner sind für ihren Pragmatismus und ihr kreatives Engagement bekannt – auch in den Reihen der Politik. Auf der Delegiertenversammlung des VLWN, zu der am 7. Oktober gut 100 Delegierte aus ganz Niedersachsen ins Leonardo-Hotel am Tiergarten gekommen waren, wurde das einmal mehr deutlich. Viele warme Worte, ohne etwas Handfestes anbieten zu können. Vor allem die politische Ideenlosigkeit, der signifikant zugenommenen Arbeitsbelastung während der Pandemie zu begegnen, stieß auf Unmut. Keine zusätzlichen Mittel, keine Entlastung, keine zusätzlichen Stellen. Stattdessen Sonntagsreden, die bei den VLWN-Mitgliedern zunehmend für Enttäuschung sorgten.

 

„Ja, die Berufsbildner sind verhältnismäßig gut durch die Coronakrise gekommen, weil wir die Ärmel hochgekrempelt haben. Doch im Grunde sind wir ein bisschen dumm, da unsere DNA so gepolt ist, dass wir nicht gewerkschaftlich auf die Barrikaden gehen, sondern als Fachverband vor allem das Wohl der Schülerinnen und Schüler immer im Blick haben – und dabei unsere Belastungsgrenzen aus dem Auge verlieren“, sagte der alte und bei der Vorstandswahl im Amt bestätigte neue VLWN-Vorsitzende Joachim Maiß.

 

Viel Lob im Gepäck hatte auch Staatssekretärin Gaby Willamowius für die Digitalisierungsfortschritte der berufsbildenden Schulen. Als Gastrednerin verwies sie erst einmal auf das neue Regionalmanagement, mit dem die Standortsicherung der beruflichen Schulen in der Fläche durch gebündelte Fachklassen gewährleistet und somit das gesamte System gestärkt werden soll. Dann folgte die Lobeshymne.

 

„Gerade den berufsbildenden Schulen ist es gelungen,  durch beherzte Digitalisierung Unterricht in kürzester Zeit auf die neuen Anforderungen umzustellen. Das ist bemerkenswert und dafür sage ich herzlichen Dank!“, sagte Willamowius. Sie blies damit in das gleiche Horn wie die vier bildungspolitischen Sprecher von SPD, CDU, Bündnis 90/ die Grünen und FDP am Vorabend der Delegiertenversammlung beim Empfang, bei dem Yasmin Fahimi den Rednerreigen eröffnete.

 

Die SPD-Bundestagsabgeordnete untermauerte als Mitglied der Enquetekommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ noch einmal, dass die berufliche Bildung deutlich entlastet werden müsse. „Dafür brauche es mehr grundständisch ausgebildete Lehrkräfte sowie multiprofessionelle Teams, die flankierend tätig sind. Gerade mit Blick auf den demografischen Wandel wächst der Handlungsdruck.  Es ist erschreckend, dass die Universitäten über Jahrzehnte hinweg die Ausbildung von Berufsbildnern vernachlässigt haben und Studienplätze abgebaut haben. Das rächt sich nicht erst seit der Coronakrise, die  die Probleme wie unter einem Brennglas verstärkt sichtbar machte. Wir brauchen dringend einen ‚Pakt für Berufsbildung‘, der aktuell Bestandteil der Koalitionsverhandlungen in Berlin ist und von mir forciert wird.“

 

15-30 % künftig Digitalunterricht

 

Melanie Walter, Leiterin der Abteilung berufliche Bildung im niedersächsischen Kultusministerium, hob den neuen Erlass hervor, wonach künftig 15-30 Prozent des Unterrichts in digitaler Form in Distanz stattfinden kann. „Damit ist gewährleistet, dass wir den Schwung in der Digitalisierung, der während der Pandemie deutlich an Fahrt gewonnen hat, auch weiterhin vorantreiben wollen und damit die berufliche Bildung zukunftssicher aufstellen wollen. Angesichts des demografischen Wandels und der daraus erwachsenden Pensionierungswelle gäbe es erstmals einen Hoffnungsschimmer am Horizont. „Der Lehrermangel – gerade in den bekannten Mangelfächern – nimmt zu. Es ist eine riesige Herausforderung, hier gegen zu wirken.  Allerdings sind die Studienseminare so voll wie schon lange nicht mehr. Es mussten 50 Stellen bei den Gymnasien geliehen werden, um dem Andrang gerecht zu werden Hinzu kommt, dass wir aktuell 640 Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst haben“, sagte Walter.

 

Deulich mehr in der Geldbörse

 

Alexander Zimbehl, Landesvorsitzender des DBB,  würdigte ebenfalls den enormen Einsatz der Berufsbildner in der Coronakrise. „Doch dieses Engagement ist alles andere als selbstverständlich, wenn es auch als solches von der Politik hingenommen wird.  Die Arbeitsvoraussetzungen stimmen nicht mehr, die Belastungsgrenze ist überschritten und die Besoldung ist schon lange nicht mehr angemessen. Darum kämpfen wir in der aktuellen Tarifrunde dafür, dass die Lehrkräfte deutlich mehr in der Geldbörse haben werden.“

 

„Die berufliche Bildung ist eine tragende Säule, um Fachkräfte zu gewinnen, und bildet damit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Berufliche Bildung ist immer auch regionale Struktur- und Wirtschaftspolitik. Deshalb braucht es auch neben der Standortgarantie in der Fläche die Einrichtung regionaler Berufsbildungsdialoge, in die sich die relevanten Akteure der beruflichen Bildung einbringen. Dies trägt wesentlich zur Verbesserung der Qualität der Berufsausbildung bei, was unmittelbar den jungen Menschen, aber auch den Ausbildungsbetrieben zugutekommt“, verdeutlichte Maiß schon am Vorabend der Delegiertenversammlung und knüpfte tags darauf daran an:

 

„Hier sind wir noch lange nicht am Ziel und stoßen vielleicht auch nicht immer auf offene Ohren. Allerdings haben wir in der Coronakrise deutlich an Gehör gewonnen. Vor allem bei Minister Tonne, der die Verbandsvertreter regelmäßig zu Hintergrundgesprächen eingeladen und deren fachliche Expertise bei Entscheidungen mit einbezogen hat. Darüber ist auch die Sensibilität für die Besonderheit der beruflichen Bildung erwachsen, die uns im Arbeitsalltag durchaus Freiheiten ermöglicht hat, über die in der Öffentlichkeit nicht groß gesprochen wurde. Diesen Kommunikationsfaden  werden wir auch künftig nutzen, um die berufliche Bildung zu stärken“, sagte Maiß.

 

Neue Arbeits(zeit)modelle

 

Hybrid zugeschaltet, weitete Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz  den Blick der Delegierten mit seinem Vortrag „Im Mai arbeite ich von der Algarve aus“ für zukünftige Arbeits(zeit)modelle in der beruflichen Bildung. „Hier bietet die Digitalisierung enormes Potenzial. Zumal wenn die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit fällt, man parallel dazu selbstbestimmt arbeitet und die bleierne Debutatsfessel durch Vertrauensarbeitszeit ersetzt wird. Ebenfalls braucht es neue Entlohnungsmodelle, die weniger an Deputaten und Unterrichtszeiten als an Aufgaben oder Tätigkeiten gekoppelt sind, und motivierend wirken“, sagte Gerholz und verwies noch einmal darauf, dass Digitalisierung und die voranschreitende digitale Transformation zwei verschiedene Paar Schuhe sind. „Arbeitsblätter als PDF mögen zwar Digital zur Verfügung gestellt werden, sind aber meilenweit von der digitalen Transformation entfernt, die sich eher im kollaborativen Miteinander spiegelt.“

 

Bevor die Delegierten zur Wahl des neuen Vorstandes schritten, sorgte das Improvisationstheater „12 Meter Hase“ mit humoresker Interaktion in Stand-Up-Comedian-Art für viele Lachern in den Reihen – zumal sie das tagesaktuelle Geschehen im Saal mit einbanden. Der neue Landesvorstand des VLWN ist um drei Personen gestärkt worden. Oliver Pundt hat sich nicht zur Wiederwahl gestellt. Der restliche Vorstand wurde en bloc mit 100 Prozent Zustimmung wiedergewählt und besteht aus: Joachim Maiß als  Landesvorsitzender, Birgit  Schlieper-Dembski, Dieter Hartmann, Marcus Schlichting, Gerd Reddig, Thorben Teyke und Annette Hermes.

 

 

Diesen Beitrag teilen

Email
Drucken
Facebook
Twitter

Letzte Beiträge

Skip to content